Funktions-Paradoxe

Die Schwierigkeiten mit der deutschen Geschichte beginnen meistens schon da, wo man der Zeit von 1933 bis 1945 einen Namen, eine Formel oder eine Definition geben will. Kein Wort und keine Wortkonstellation scheint zu genügen, um den Schrecken in Sprache zu fassen. Hat aber jemand eine Zauberformel gefunden, dann sieht es oft so aus, als sollte die Geschichte trickreich gebannt werden, wie etwa die Rede vom „Unglück, das in deutschem Namen geschah“ eigentlich nur von einer Spätgeburt entworfen sein kann, wie sie Helmut Kohl eine ist, denn das Unglück geschah ja hauptsächlich von Deutschen mit deutschen Namen.

Wie nennt man eine Ausstellung, die das Design in den Jahren ab 1933 behandelt?: „Die gute Form in der Zeit des Terrors“, weil das aber eventuell zu filmmäßig-reißerisch klingen könnte, gleich der große Wurf mit der Wissenschaftlichkeit hintenangestellt, am Anfang des Weges durch die Ausstellung: „Damit sind die zwölf Jahre gemeint, in denen in Deutschland eine national-spezifische Variante des Faschismus herrschte.“

So einen Lehrsatz aufzubauen, ist eine Sache, ihn dann in der Ausstellung auch sichtbar zu machen, eine andere - wenn man das denn überhaupt will. Die AusstellungsmacherInnen der vom Werkbundarchiv verantworteten „guten Form in der Zeit des Terrors“ wollten nicht. Denn der Satz taucht später nimmer mehr auf und hängt so in der Luft. Eine Marginalie, wäre sie nicht symptomatisch für die ganze Ausstellung. Da werden Behauptungen und Thesen aufgestellt, abgekoppelt von den Dokumenten und Exponaten. Im dritten Raum beispielsweise einige vollgestopfte Vitrinen, Stuben- und Eßzimmerkitsch der muffigen Sorte, bäuerlich-rustikale Kleinteile, Massenprodukte, mit Dekor überzogen, um ihnen die Unikat -Seele einzuhauchen. Etwa ein Wandteller mit Blumenmotiv auf braunem Hintergrund und Sinnspruch in billiger Fraktur: Setz dich über alles hinweg, freu dich über jeden Dreck

-und bald gab es auch nicht viel mehr als Dreck zum drüber freuen. Neben solchen und qualitativ gleichwertigen Dingen ist diese Anmerkung an die Wand gepinnt: „Der Ablehnung des nüchtern zweckgebundenen Stils gerade durch untere Einkommensschichten wird durch eine Rückkehr zu verspielten Formen und Dekors Rechnung getragen...“ Daß das, was man da in den Vitrinen sieht, etwas mit unteren Einkommensschichten zu tun hat, wird nicht sichtbar, und was dabei noch faschismus-spezifisch sein soll, erst recht nicht. Ähnliches sieht man in jeder Stube durch alle Einkommensschichten hindurch bis heute. Das Beispiel ist herausgegriffen: Erst waren offenbar die Thesen da, und dann wühlte man in den hauseigenen Beständen, um herauszuholen, was sich irgendwie zuordnen ließ. Aber die Beziehung zwischen These und Exponaten ist nicht nachzuvollziehen, so daß die Bedeutungsketten nicht mehr zu enträtseln sind.

Mit dieser Nicht-Vermittlung von Thesen scheitert die Ausstellung am selbstgesetzten Ziel: nämlich Thesen zu verdeutlichen, Thesen aus einem Buch, im Auftrag des Werkbund-Archivs herausgegeben von Sabine Weißler, einigen vielleicht bekannt als Sprecherin in Sachen Kultur der AL. Hätte man bisher des öfteren das Gefühl, daß einige Ausstellungen nur gemacht werden, um einen elefantösen Katalog zu rechtfertigen, an dem sich Heerscharen von Experten der postgraduierten Art ihr Brot verdienen, und ohne den die Ausstellungen schlicht nicht zu erfassen waren, so ist es hier umgekehrt: die Ausstellung ist Werbefenster für ein Buch, eine illustrierte 3-D-Fassung zum Begehen mit Kaufanreiz.

Das Werbund-Archiv betont daher, daß dies nicht die Form sei, in der man fürderhin Ausstellung zu machen gedenke, und daß das Thema auch nicht erschöpfend behandelt sei, was den Verdacht nährt, als Pflichtveranstaltung Vergangenheitsbewältigung durchgehen zu wollen.

Bleibt das Buch und die Redlichkeit, der Schattengeschichte der eigenen Organisation nachgegangen zu sein: Verschiedene Aspekte des Werkbundes beziehungsweise des Designs während des Faschismus, abgehandelt nach dem Prinzip: wer macht den Überblicksartikel?, wer macht was über Frauen?, wer geht der Kontinuität der Form über den Faschismus hinaus in die BRD hinein nach? und dann brauchen wir noch ein Interview inklusive Oralhistory.

Dennoch rückt das Buch einiges von der Geschichte des deutschen Werkbundes zurecht. Allgemein wird angenommen, daß der deutsche Werkbund, den man eher mit dem Bauhaus verbindet und den man an der dem Faschismus entgegengesetzten ästhetischen Position vermutet, mit dem März 1933 faktisch aufgehört hat zu existieren. Das ist mitnichten der Fall. Wie viele andere Berufs- und Standesorganisationen auch, die nicht bald nach der Machtergreifung liquidiert oder zwangsweise gleichgeschaltet wurden, ist der Werkbund langsam, aber stetig in die neue, heißt: faschistische Herrschaftsstruktur eingebaut worden bis zum Verlust jeglicher Autonomie und der Überführung des Werkbundes in das Amt für Schönheit der Arbeit. Teils hatte man sich ergeben, teils war man hineingezogen worden, und die äußere Gewalt, der Terror, hatte sich mit dem vorauseilenden Gehorsam Einzelner verbunden. Der Hebel, mit dem der Faschismus den Werkbund umorganisierte, war die im Verband seit seiner Gründung bestehende Opposition zu den Modernen: Leute also, die eher kunsthandwerklich orientiert waren und traditionellen Formen anhingen und sich von der neuen Regierung eine Durchsetzung ihrer Position versprachen, und die dann nach 1933 weitgehend an die Spitze des Werkbundes kamen.

Dennoch konnten sie dort nicht auf Dauer den Ton angeben. Denn die rückwärtsgewandten Visionen von handwerklich -bäuerlicher Idylle war die Sache des Faschismus nicht. Denn trotz entsprechender Ideologie war die Produktionstechnik auf der Höhe der Zeit - „modern“ - und durchaus bereit, Verfahrensformen und ästhetischen Ausdruck des alten Werkbundes und des Bauhauses aufzunehmen: Dem deutschen Faschismus ist gerade diese Bündelung verschiedenster Ideologien mit modernsten Techniken zu eigen, deren Organisation auf den Krieg und die Vernichtung hinausliefen.

Im Buch-Katalog sagt Julius Posener in einem Gespräch: „...wenn man die Theorie oder vielmehr das Gefühl von Blut und Boden, von der durch Blut und Boden gegründeten Kultur durch das Radio verkünden läßt, dann ist das einfach Quatsch.“ Aber der Quatsch hat funktioniert.

höttges

„Die gute Form in der Zeit des Terrors - Werkbund und Waren 1933 bis 1945“ noch bis zum 29. April im Werkbund-Archiv im Martin-Gropius-Bau.

„Design in Deutschland 1933 bis 1945. Ästhetik und Organisation des Deutschen Werkbundes im 'Dritten Reich'“. Herausgegeben von Sabine Weißler, Anabas-Verlag, 48 DM.