Die Berliner FDP - immer noch eine Partei ohne Wähler

■ Die FDP im Jahre 1 nach Waterloo: Der Konservative Hermann Oxfort regiert die Partei kaputt, der Linksliberale Wolfgang Lüder kümmert sich nur noch um sein Bundestagsmandat / Ideen zur Behebung der FDP-Misere fehlen / Selbstkritik blieb ohne Konsequenz / Auch in Ost-Berlin haben die Liberalen kein Glück

Die Berliner FDP ist ein Jahr nach ihrer Verbannung aus dem Abgeordnetenhaus immer noch eine Partei ohne Wähler. Vier Prozent gab das Meinungsforschungsinstitut Emnid nach einer Umfrage im November den Liberalen. Schlappe drei Prozent heimsten die Liberalen am 18. März in Ost-Berlin ein. Während der konservative Parteivorsitzende Hermann Oxfort nahezu unangefochten herrscht, kehrte der Repräsentant des sozialliberalen Flügels, Wolfgang Lüder, seinen Berliner Parteifreunden den Rücken zu. Welche Perspektive die Liberalen in Berlin noch haben können, weiß deshalb kaum ein Freier Demokrat zu beantworten. Das hängt nicht unmaßgeblich mit dem neuen Parteichef zusammen: Denn schon kurz nach seiner Inthronisierung im Juni 1989 verkündete Oxfort, daß die Zeiten, in denen die FDP ihre Wähler links von der Mitte gesucht hätten, nun endgültig vorbei seien. „Wo aber dann?“ fragen sich irritiert viele FDP-Funktionäre.

In eine „Parlamentarische Arbeitsgemeinschaft“ (PAG) hievte Oxfort „nur Neulinge und Nationalliberale“, wie der Chef der Jungen Liberalen, Stephan Arnold, kritisierte. Selbst dem vom gemäßigten Flügel kommenden Ex-Parteivorsitzenden Walter Rasch, der nach der Wahlniederlage zurückgetreten war, wurde der Einzug in das Gremium verwehrt. Die „PAG“ sollte die Arbeit des Abgeordnetenhauses seitdem „kritisch begleiten“, viel gehört hat man von ihr bisher freilich nicht. „Die Partei soll offensichtlich gleichgeschaltet werden!“ empörte sich JuLi-Chef Arnold, der ebenfalls auf Oxforts „Abschußliste“ steht. Oxforts Standortdefinition als Partei rechts von der CDU stößt auch beim wirtschaftliberalen Parteiflügel auf Skepsis. Darüber hinaus ist sie wahltaktisch gesehen geradezu kontraproduktiv: Denn die Emnid-Untersuchung besagt, daß die meisten Neuwähler der FDP aus dem SPD-Lager kommen.

Vor Jahresfrist hatte sich die FDP noch selbstkritisch gegeben: „Wir alle haben einen Wahlkampf geführt, der keiner war!“ schimpfte Otto Graf Lambsdorff. Über das Ergebnis, das die FDP vor 14 Monaten zu den Abgeordnetenhauswahlen einfuhr, konnte er nur wütend sein: Nicht mal vier Prozent hatten die Liberalen geschafft. Selbst beim Sprung in die Bezirksparlamente waren die FDP-Mitglieder auf die Nase gefallen. Nur in Steglitz schaffte man mit knappen 5,2 Prozent den Einzug. „Wir haben uns erfolgssicher auf Nachbarschaftsparties zugeprostet, statt den breiten Wählerkontakt zu suchen!“ polterte der Graf weiter. Doch die Delegierten des Landesparteitages vom März vergangenen Jahres pfiffen auf die Schelte und machten das Chaos komplett: Carola von Braun, einzige KandidatIn bei den Wahlen zur Landesvorsitzenden und dem sozialliberalen Spektrum der Partei zugehörig, fiel beim ersten Wahlgang durch: Sie erhielt nur 116 von 248 Stimmen.

Beim Nachfolge-Parteitag im Juni 1989 gerieten der linke und rechte Parteiflügel noch heftiger aneinander. In einer Kampfabstimmung setzte sich der konservative Jurist Hermann Oxfort (62) knapp gegen seinen Erzrivalen Wolfgang Lüder (53) durch und wurde neuer Parteichef der Berliner FDP. Obwohl der Linksliberale Lüder, der sich 1982 entschieden gegen die „Wende“ ausgesprochen hatte, nur fünf Stimmen weniger erhielt als Oxfort, war er im neuen Landesvorstand nicht mehr vertreten. Seitdem beschränkt er sich auf seine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter seiner Partei. Oxfort proklamierte nach seinem Sieg indes den endgültigen Durchmarsch gegen Linksliberale.

Zehn Monate nach dem letzten Parteitag bietet die FDP nun ein „trauriges Bild“, wie ein FDP-Funktionär bitter beklagt. Oxfort und seine Mannen verfügen im Landesvorstand über eine satte Mehrheit. Der neue Chef trat zum letzten mal im Sommer 1989 öffentlich in Erscheinung, als er im Zusammenhang mit der Pilotenspiel-Affäre lautstark den Rücktritt von Senatorin Anne Klein forderte. Dann legte er einen Wiedervereinigungszeitplan vor, in dem er sogar die CDU, was die Zeitvorstellungen anging, überholte. Neue Wähler gewann er, siehe November-Umfrage, damit nicht. Und selbst wenn sich das Westberliner Wählerverhalten wie durch ein Wunder in der letzten Zeit gewandelt hätte und die Liberalen den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen: Für den Einzug in ein Gesamtberliner Parlament würde es nicht reichen. Gerade mal drei Prozent erzielte das Liberale Bündnis bei den Volkskammerwahlen in Ost-Berlin. „Das war eine relativ große Enttäuschung!“, gibt der FDP-Landesgeschäftsführer Michalski unumwunden zu.

Durch die deutsch-deutschen Vorgänge sei die Partei zusammengeschweißt worden, beteuert Michalski. Mit einer schnellen Fusion der liberalen Parteien in Groß-Berlin kann sich trotzdem nicht jedes FDP-Mitglied anfreunden. Das Mißtrauen gegen die ehemalige „Blockflöte“ LDP ist nach wie vor groß; dazu kommt die Angst, „überrollt“ zu werden. Denn den 2.500 FDP-Mitgliedern im Westen stehen 4.000 Liberale im Osten gegenüber. „Wenn die wollen, machen die uns platt hier!“ fürchtet sich ein West-Liberaler.

Zwar ist die Berliner FDP eine Partei ohne Wähler; ohne Einfluß sind ihre Funktionäre dennoch nicht: Christoph Stölzl, Direktor des Deutschen Historischen Museums, sitzt ebenso im Landesvorstand wie der Ex-Intendant des SFB, Lothar Loewe, der seine Brötchen jetzt beim Münchener Medienriesen Burda verdient. Weitere FDP-Funktionäre auf Landesebene: Die Frauenbeauftragte des Senats, Carola von Braun, und der Geschäftsführer der Frankfurter Zentrale des New Yorker Finanzgiganten „City-Bank“, Günter Rexrodt. Aus der Berliner FDP stammt auch die jetzige Generalsekretärin der Bundespartei, Cornelia Schmalz-Jacobsen, sowie der künftige Generalbundesanwalt, Alexander von Stahl. Die Verlierer der '89er Wahl blieben auch nicht ohne Job: Walter Rasch arbeitet als Geschäftsführer der „Arzneimittelforschung Berlin GmbH“ (AFB). Und sein früherer Fraktionsgeschäftsführer Rolf Peter Lange bekam nach der „Beerdigung“ der Abgeordnetenhausfraktion ausgerechnet beim Bestattungsunternehmen Grieneisen eine hohe Position. Doch trotz der wichtigen Positionen in Staat und Gesellschaft will sich bei den bekannten Köpfen der Westberliner Liberalen kein Logen-Bewußtsein einstellen: Die „Promis“ sind zerstritten, ideenlos und nur auf das eigene Fortkommen in der Partei bedacht.

Claus Christian Malzahn