■ Staunen im Angebot

Die deutsche Lufthansa hat uns etwas ganz Besonderes eingeflogen: ein 15jähriges Mädchen mit seinen Bildern und dem Ruf eines Wunderkindes im Gepäck. Alles drei wird vor Augen geführt im Haus der Kulturen der Welt: der Leumund, die Künstlerin und ihre Werke — Reihenfolge ebenda.

Schon im schlappen Alter von vier Jahren mit Berühmtheit geschlagen — die chinesische Regierung ließ eines ihrer Bildmotive Briefmarke werden — malte sie damals wie heute ihre Eindrücke aus Natur und Tierwelt nieder. »Was, das hat sie gemalt?! Nein, das glaub' ich nicht!«, sagten die Leute, irrten aber und kaufen jetzt den Katalog wie jene Backware.

Diese Ausstellung, in großem Format organisiert, scheint ums Bestaunen gemacht. Es ist vorprogrammiert durch eine doppelte Exotik: Einerseits das Phänomen des außerordentlichen Kindes, wobei sie einen alten Mythos in Persona bestätigt, plus der Fremdheit einer uns fernen, dem europäischen Denken fremden Kultur. Ein solcherart überwürzter Rahmen macht voreingenommen dem Eigentlichen gegenüber, den Bildern, damit laufen sie Gefahr, statt offener Betrachtung eben nur jenes verblüffte Kopfnicken hervorzurufen, und damit fertig.

Wang Yani heißt die Tausendsässin, auf die der Bürger hier anspringt, und was sie mit Gelassenheit, Pinsel und Tusche aufs Reispapier legt, ist dennoch sehenswert. An den vergessenen Sonntagen führt sie vor, wie sie's macht: In einer Art Soft-Performance mit vornangestellter Meditation entwickelt sich langsam, aber in einem Rutsch und ohne Unterbrechung, aus feinen Linien und farbigen Flecken ein Probehappen ihrer Fähigkeiten. (Mit dem Nebeneffekt, daß damit zugleich die Urheberschaft der ausgehängten Arbeiten bewiesen wird)

Alle Formen gelangen zielsicher an ihren Bestimmungsort (wenn nicht, wird die Arbeit sofort zerrissen), nichts wird verkleckert oder danebengetropft. Die Art der Ausführung, die auf alte chinesische Maltradition rekurriert, fällt zusammen mit frühreifem Abstraktionsvermögen und kindlicher Verspieltheit.

Ihre Bilder beinhalten meist Geschichten, in denen Menschen kaum oder gar keine Rolle abkriegen. Gelobt wird deren »positive Ausstrahlung«, »Possierlichkeit« und, daß »nie etwas Böses zum Ausdruck kommt«. So rührte dann das deutsche Botschafterehepaar a.D. seine sicher mehr als beziehungsreichen Hände (in denen sich auch unser kleiner Quell der »reinen Phantasie« befindet), um dafür den chinesischen Botschafter aufs Parkett des Hauses zu bringen, der dem Ganzen eine Einführungsrede spendierte.

Mit Verweis auf das Jahr 1989 und die sich in China fortsetzenden Hinrichtungswellen, bezieht unter anderem amnesty international Stellung zu dieser Veranstaltung: »Wir können nicht zulassen, daß die Beziehungen zu China durch die Intensivierung kultureller Beziehungen 'normalisiert‘ werden, während kein Wort darüber verloren wird, daß dort die Menschenrechte weiter mit Füßen getreten werden.« Und noch immer haben auch Künstler und Intellektuelle dort Arbeitsverbot oder sitzen ohne Gerichtsverhandlung in Gefängnissen ein. (heute letzter Tag im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee, 1-21) Frieda Wagner