Der entzauberte Gartenzaun

■ JacquelineBeauducelundStephanieNäpel

Wild im Raum verstreute Materialparaphrasen, ihrer stofflichen Tradition beraubt; achtlos im Rausch der Imagination arrangiert. Material dirigiert nicht mehr wie einst durch seine Oberfläche und Beschaffenheit die Phantasie und gibt ihr eine stoffliche Hülle, sei es nun porös oder glatt oder gar spiegelnd, sei es gemasert im Äußeren, gepunktet oder marmoriert, sei das Material nun Stahl, Holz, Stein oder Ton; pastös mit Farbe versiegelt oder als Chromstahl blankblitzend den ureigensten Korpus des Materials im Neonlicht protzig präsentierend, Material ist nicht mehr behauen, gehobelt, geschnitzt, geformt und gegossen; Material ist arrangiert, lümmelt beziehungsvoll in Ecken, beschreibt einen Raum alleine durch seine Anwesenheit, ist der Natur entnommen, allenfalls ein Ziegel oder eine Holzlatte, doch mehr ein Felsbrocken, steht oder liegt, hängt dorten und hier und sagt: - sieh da, auch ich bin Kunst.

Wie spannungsreich Material und Raum kommunzieren können, zeigen die sechs Abteile der Ausstellung »Raum und Raum« zweier junger Künstlerinnen in der Charlottenburger Schloßstraße. Das in einem Keller befindliche Selbsthilfeprojekt ermöglichte den beiden, sich im Duett an der Versinnlichung von Raum zu versuchen. Jacqueline Beauducel, die ihre auf Papier gebrachten Materialkonklusionen den sperrigen Raumteilungen von Stefanie Näpel hinterhängte, beteiligte sich mit einem »Raum« an der Gestaltung des Ganzen. Die Räume sind unprätentiös komponiert und von nachlässiger Eleganz. Manerieristisches Wirrwarr durch überfrachtete didaktische Zivilisationsfäkalien wird vermieden und mit vorteilhafter Kargheit ordnet man Holzstangen, Zaunlatten und Pappmachékugeln (die wie Felsbrocken wirken, weshalb wir sie auch als solche ansehen wollen) sparsam in die niedrigen Keller ein. Grazil recken die Hölzer sich durch die Räume; unterteilen sie labyrinthisch oder verschachteln sie zu einem weißen Schachtelhalmwald. Gartenzaunrelikte allenthalben, horizontal; und der Erde (oder dem Boden) verbunden durch die in-sich-ruhenden Felsen. Unverhüllt tritt die Erde durch eine Installation von Jacqueline Beauducel in die Räume ein, als Teppich überdacht von einer unter die Lampe gehängten braunfleckigen Gaze — bevor es in den letzten Raum geht; ebenso karg im Holz. Die Verknappung der künstlerischen Mittel und der gezielte, sich wiederholende Einsatz der verwendeten Stoffe gestalten geradezu überhöhend die Wirkung der Räume.

Material als Sichtweise der Dinge: Nicht mehr die Form macht den Mythos aus, sondern das Material. Holz steht für Leben, Stein für ein anderes und Stahl vielleicht für ein Drittes, und Holz und Stein und Stahl sind Ausdruck einer künstlerischen Intention durch Arrangement — und durch unser Wissen um die Symbolik. Diese Tendenzen sind allerdings kein neuer Mystizismus um Material und Seele — dem Pantha Rhei — und keine mythische Überhöhung von Seinszuständen wie in den meditativen Gärten des buddhistischen Japans. Wohl eher zeigt dieser Trend eine Gegenbewegung zu den Postulaten der Idolfetischisten Jeff Koons und Rob Scholte auf, die sich in der vollkommenen bildlosen Materialität eines Anish Kapoors formieren — wie zu sehen auf der letzten Biennale.

Material ist hier aber ordnendes Prinzip, kein zufälliges Schütt-Auf eines Müllhaldenpirsches, kein Herbarium frisch gepresster Emotionen. Erinnerung vielleicht. Aber an was....

Bis 20.11. in der Weekend Gallery, Schloßstr. 62, 1-19, Do-So 16-19 Uhr. Volker Handloik