Gysi — Retter der DilettantInnen

■ Wahlveranstaltung der Linken Liste/PDS in der Stadthalle

Welchen Unterhaltungswert hat die Linke Liste/PDS ohne ihren Gysi? Am Mittwoch abend in der Stadthalle wurde diese Frage bis an den Rand der Schmerzgrenze beantwortet: Bis „Gregor“ endlich die Bühne betrat, mußte sich das Publikum mit höchster Disziplin durch's Vorprogramm retten. Mehr als 800 waren zu dem (ex-)kommunistischen Familientreffen in die Stadthalle geeilt: ehemalige DKP'lerInnen, ehemalige MSB'lerInnen, ErneuerInnen und Betonfraktion, dazwischen auch einige Linke ListlerInnen und sonstige sich jahrelang als „links“ Verstehende, die „Lust auf Gregor“ verspürten bzw. „Lust auf links“, wie es die zehn Mark teure Eintrittskarte verhieß.

Der kleine Bremer Landesverband der „Linke Liste/PDS“ hatte keine CharismatikerIn a la Gregor Gysi aus seinen Reihen hervorgebracht. Deshalb wurde die Berliner Parteizentrale angefragt, ob dort nicht eine Spitzenkandidatin für Bremen vorhanden sei. Es war. Uschi Goldenbaum war bereit, sich „einfliegen“ zu lassen. Sie vor allem bestritt im „Gysi-Vorprogramm“ eine Talk- Runde, antwortete nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne jegliches rhetorisches Vermögen auf die FragestellerInnen an den Saalmikrofonen. Das hörte sich dann so an: Frage: „Wie will die PDS irgendwas von der sozialistischen Idee über die Zeit retten?“ Die Bremer Spitzenkandidatin: „Ja. Da sind wir auch noch am Diskutieren. Das ist die schwächste Seite unseres Programms, wo wir die Grundlage eines alternativen ökonomischen Konzepts zur Marktwirtschaft niederlegen.“ Nächste Frage: „Welche Wege will die PDS in der Drogenpolitik gehen? Denkt die PDS an die Legalisierung von Haschisch und Marihuana?“ Darauf die überforderte Spitzenkandidatin: „Das Drogenproblem tritt auf, wenn es als gesellschaftliches Problem auftritt. Dann muß man es wohl akzeptieren.“ Der andere Bremer Spitzenkandidat, der Pakistani Rashid Ali Khan, schaltete sich an dieser Stelle ein und versuchte die Debatte auf eine grundsätzliche Ebene zu heben: „Was ist überhaupt eine Droge?“

Diese Serie an Peinlichkeiten wurde schließlich abgelöst durch Darbeitungen des gealterten Liedermachers Franz-Josef Degenhard. Zwar erhielt er Beifall, doch erwiesen sich seine Texte zumindest für Nicht-KommunistInnen als rätselhaft bis unverständlich: Beispielsweise stellte Degenhard die medienwirksame Landung des Amateurfliegers Matthias Rust auf dem Roten Platz in Moskau in eine Reihe mit den freudigen DDR-Bürgern, die im November vor einem Jahr die Mauer erklettert hatten. (???).

Doch die Zeit, sie ging auch in der Stadthalle um. Der Star des Abends betrat die Bühne und erfüllte alle „Gregor“-Erwartungen. Gysi, der wortgewandte Wahlredner, führte aus, welche „parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit“ seine Partei verrichten wolle, welche vier „Menschheitsprobleme er sehe und wie das mit den Parteifinanzen sei. Auch blieb er die Bonmots nicht schuldig (“Die DDR hat sogar den Beweis angetreten, daß man ohne Bananen leben kann“). Ja, was wäre die Linke Liste/PDS ohne „Gregor“? Tiefsinnige Zukunftsfragen hatte Liedermacher Degenhard zuvor schon formuliert: „Werden wir zurückbleiben. Keinen mehr verstehen? Und von keinem mehr verstanden?“ B.D.