Was geschah am 9. November 1989?

■ Momper will bereits am Morgen des 9. November einen Hinweis auf den Mauerfall bekommen haben/ BVG dementiert

Berlin. Pünktlich zum Jahrestag und wahlkampfträchtig rückte auch Berlins Regierender Bürgermeister mit »neuen« Details über die Vorgeschichte des Mauerfalls heraus: Wie in einem SFB-Interview bekannt wurde, habe der Senat von West- Berlin bereits 14 Tage vor dem historischen Datum gewußt, daß die Mauer fallen werde, und sei am 9. November morgens »von einer Person, die sich in SED-Kreisen gut auskenne«, informiert worden, daß eine Entscheidung unmittelbar bevorstehe. Momper habe dann seinen Verkehrssenator gebeten, die BVG in Schwung zu bringen und die Smogalarm-Fahrpläne für die kommende Nacht bereitzuhalten.

Die Gerüchtenebel um die Vorgänge im November 89 sind nur schwer aufzuhellen. Zumindest die erste Hälfte der exklusiven Nachricht ist nicht neu: Tatsächlich hatte Walter Momper bereits am 29. Oktober von Schabowski die Zusage erhalten, die DDR-Regierung werde bald Reiseerleichterungen erlassen. Zwei Tage später wurde im Senat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Vorbereitungen treffen sollte. Unter der Federführung von Wirtschaftsstaatssekretär Rommerskirchen sollten etwa zwanzig Vertreter aus verschiedenen Ressorts und zwei Delegierte aus dem Rat der Bürgermeister den Ernstfall planen. Der Tag X wurde zu dieser Zeit für Anfang Dezember erwartet. Erste Kontakte mit dem Magistrat wurden in der Woche nach dem »Schicksalstag der Deutschen« aufgenommen.

Ob die Senatsspitze tatsächlich am Morgen des 9. November einen Hinweis erhalten hatte, daß im ZK an diesem Tag eine »wichtige Entscheidung« gefällt werden sollte, bleibt im dunkeln. Die Aussagen der Betroffenen widersprechen sich: So bestätigte der persönliche Referent von Verkehrssenator Wagner, Lutz Wunder, gestern gegenüber der taz die Aussagen Mompers. Bereits gegen neun Uhr morgens, so Wunder, habe sich Wagner an BVG-Direktor Lorenzen gewandt mit der Bitte, die Fahrpläne für Smog bereitzuhalten, um für einen möglichen Massenansturm gerüstet zu sein, und nach diesen sei dann auch verfahren worden. In der BVG hat man allerdings andere Erinnerungen an die Chronologie. Zwar sei man von der Senatsarbeitsgruppe kurz nach deren Gründung darüber informiert worden, daß im Dezember etwas passieren könnte, an eine Aufforderung aus dem Hause Wagner am 9. November kann sich dort aber von den Verantwortlichen niemand erinnern.

BVG-Verkehrsdirektor Lorenzen, den Wagner informiert haben will, war am 9. gar nicht in Berlin, zuständig war statt dessen Arbeitsdirektor Sachße. Wolfgang Jänichen, zuständig für Oberflächenverkehr, und sein Kollege Bodo Jendriny, verantwortlich für Smog-Fahrpläne, wußten am 9. tagsüber nichts. »Ich saß ganz gemütlich mit einem Freund beim Essen, als mein Fahrer etwa gegen 21 Uhr hereinstürzte und mir sagte, du sollst sofort den Sachße anrufen«, erzählte Jänichen der taz. Sachße haspelte ins Telefon: »Wir beide müssen sofort zu Momper« — ohne zu wissen warum. Auf dem Weg von der Knesebeckstraße zur Sondersitzung des Senats im Rathaus Schöneberg hat Jänichen zum ersten Mal Gerüchte über eine Grenzöffnung gehört. »Gegen halb zehn stolperten wir in die Sitzung und haben dann erst erfahren, was eigentlich los ist.« Von Momper habe man kurze Direktiven bekommen, alles zu mobilisieren, was möglich ist. Erst nach zehn Uhr, so auch Jendriny, seien die Smog-Fahrpläne aktiviert worden. Alles Wahlkampf? Kordula Doerfler