Die neuen Leiden der jungen B. W. Gung

■ Haben die außerparlamentarischen Initiativen eine politische Zukunft?

Die Bilanz war ernüchternd. „Wir dümpeln seit Monaten im eigenen Sumpf, spalten uns auf bis zur Handlungsunfähigkeit und haben die Kontakte zu anderen Gruppen verloren.“ 140 AtomkraftgegnerInnen aus der gesamten Bundesrepublik führten am Freitag abend zum Auftakt der traditionellen Herbstkonferenz der Anti-AKW-Bewegung eine selbstkritische Diskussion.

Auf der Tagesordnung stand nicht weniger als das große Alphabet des politischen Widerstandes, von A wie Analyse bis Z wie Zukunft. Und weil das Spektrum der AtomenergiegegnerInnen von linksradikalen Autonomen bis weit in die bürgerliche Mitte der Elterninitiativen reicht, war die Diskussionsausbeute entsprechend farbenprächtig:

Die Anti-AKW-Bewegung habe ihre breite Verankerung in der Bevölkerung vor allem deshalb verloren, weil die prophezeiten Atomkatastrophen in der Bundesrepublik nicht eingetreten sind. Die nationale Strategie der Industrie, die laufenden 25 Atomkraftwerke zu sichern und den weiteren Ausbau auf die neuen Bundesländer zu beschränken, habe zu einer schleichenden Akzeptanz der Atomkraft geführt. Die akuten Fragen, beispielsweise nach Zwischen- oder Endlagerung, seien in der Bevölkerung nicht wahrgenommen worden.

Auch dort, wo die Anti-AKW- Bewegung politisch erfolgreich war, hat sie an Boden verloren. Ein Aktivist aus Freiburg erzählte, daß die Wyhler Bauern, die sich Mitte der 70er im Anti AKW- Kampf mit der Bewegung solidarisiert hatten, mittlerweile republikanisch wählen. Bestätigt wurde der „Entsolidarisierungseffekt“ aus der bayerischen Oberpfalz. Nach dem Aus für Wackersdorf fallen auch dort die Landwirte in ihren rechten Trott zurück.

Auch über den Schwund in den eigenen Reihen diskutierte die Bundeskonferenz. Viele AktivistInnen hätten vom außenparlamentarischen Widerstand ins Lager der Parteien gewechselt. Unterschiedlich beurteilten die KernkraftgegnerInnen dabei die Qualität dieses Wechsels: Während die einen von „alternativen Karrieristen“ sprachen, schätzten andere die ParlamentarierInnen als „hilfreiche Info-und Geldquelle“.

Viele AKW-GegnerInnen haben nach Tschernobyl das Handtuch geworfen. „Daß danach nicht der Ausstieg kam, hat viele frustriert“, hieß es am Freitag übereinstimmend. Noch deutlicher: „Für viele wurde klar, daß sie in diesem saturierten Staat kein Gehör finden.“

Unterschiedlich wurden Elterninitiativen beurteilt, die nach der Katastrohe von Tschernobyl als „neue Bewegung“ in die Öffentlichkeit traten. Während ein Vertreter der Initiativen die mangelnde Bereitschaft der „alten“ Bewegung kritisierte, an Aktionen der Elterninis teilzunehmen, kritisierten andere die „Sozialdemokratisierung“ der ehemals radikalen Bewegung. „Ernster Widerstand kann nicht davon ausgehen, daß man keinen Furz von diesem imperialistischen, breiten Arsch abgeben muß.“

Fazit des Abends: Die außerparlamentarischen Initiativen müssen in Zukunft enger zusammenarbeiten, wenn sie politisch eine Rolle spielen wollen. Unverdrossener Tenor des Abends: „Wir bleiben außerparlamentarisch!“ mad