Audio Dominas und Krachmacher

■ Eröffnung der Urbanen Aboriginalen im Ballhaus Naunynstraße

»Die Welt ist Klang« hat mal ein gewisser Joachim Ernst Behrend behauptet. Falsch. Die Welt ist Krach. Und wen diese Erkenntnis noch nicht auf den überfüllten Straßen überkam, der konnte sich am Samstag bei der Eröffnung der Konzertreihe »Urbane Aboriginale« mit experimenteller Musik die letzte Lektion verpassen lassen. Hier gab es jeden Krach zu bewundern, den häßlichen, nervtötenden; den langweiligen, an den man sich längst gewöhnt hat, und den Krach, auf den man sich richtig freut, wie den von zusammenstoßenden Autos etwa.

Daß jeder das demokratisch verbriefte Recht besitzt, Krach zu machen, demonstriert das »Skulpturenorchester« von Hike Wehner, eine Installation aus geschweißten Schrotteilen, auf denen sich Krach in Musik verwandeln könnte. Die alten Blechtöpfe, Fahrradfelgen, Drähte und Eisenmistforken sind jedem Besucher vor und während der Konzerte im Ballhaus zur Benutzung freigegeben. Das zahlt sich besonders aus, wenn man die Darbietung auf der Bühne nicht mehr erträgt und seinen Frust an einem alten Kochtopf ablassen kann.

Dieses Bedürfnis entstand leider schon bei der ersten »Band« des Abends, den Audio Ballerinas. Die Damen tragen durchsichtige Plexiglasröcke, die mit Solarzellen, Lautsprechern, Verstärkern und Empfängern ausgerüstet sind. Fällt ein Lichtstrahl auf den Rock, ertönt ein Piepsender, manchmal ein quakender Pfeifton. Dazu trägt man in diesem Winter unischwarze Hosen, Pullover, Sonnenbrillen und gern auch Schaftstiefel bis übers Knie. Ein Stöckchen in der Hand kann gleichzeitig zum Klangerzeugen und Wegfreischlagen genutzt werden. Die moderne Audiodomina läßt sich verfolgen von den Guitarmonkeys, die ihre Gitarren bedrohlich durch die Luft schwingen, lustvoll an Treppengeländern reiben, durch die Gegend rennen und natürlich einen höllischen Lärm veranstalten. Alle sind überall, man wird auch schon mal über den Haufen gerannt von einem Plexiglasrock und Monika Döring stürzt beinahe von der Bühne — auf die sie sich nach der Freigabe fürs Publikum umgehend begab — weil sie, geblendet von Fotografenblitzen, durch ihre schwarze Sonnenbrille nichts mehr sah. Eine turbulente Modenschau für echte Aboriginale, klanglich jedoch ein Reinfall. Weil es heute eben nicht mehr reicht, Lärm einfach als Musik zu deklarieren.

Auch das zweite »Projekt« des Abends konnte seine großspurigen Versprechungen, von wegen Menschen machen Musik, nicht einlösen. »Menschen Machen Musik« ist ein Quartett mit Jim Meneses am Schlagzeug, das sich redlich um Originalität bemühte aber doch nicht viel mehr als ein müdes Lächeln ernten konnte. Besonders »Göttin Gala« mit ihrem auf naiv getrimmtem Gesang verstrahlte den Ballsaal mit einer penetranten Gute-Laune-Stimmung. Textprobe: »Da oben auf dem Berge steht ein Gerüst, da werden die Mädels elektrisch geküßt.« Oder einfach: »Koitus Interruptus, Koitus Interruptus, Koitus...« Dazu laue Fürze aus der Posaune, die einige auch unheimlich lustig fanden, und ein mit einem weißen Tuch abgedecktes Schlagzeug, auf dem Jim Meneses ideenlos trommelte. Menschen Machen Musik ist eine Kombo, die vorgibt, heftig zu improvisieren, die ständig so tut als ob etwas passierte, wenn man aber genauer hinhört, ist da nichts.

Alle, die sich vorzeitig von der urbanen Landesureinwohnershow verabschiedet haben, haben die Gruppe des Abends versäumt: Slawterhaus. Allein Peter Hollinger am Schlagzeug entwickelte mehr Energie als alle Solarzellen dieser Welt speichern könnten. Mit seinen verkratzten Trommeln und den Blechteilen, die er in seinem Alukoffer mit sich herumschleppt, machte er genau das, was vorher alle versucht, aber nicht geschafft hatten: aus Lärm Musik. Seine Kollegen Dietmar Diesner, Saxophone, Johannes Bauer an der Posaune und Jon Rose am Synthie wurden mitgerissen von einer Sturmflut der Rhythmen und Breaks. Hollinger spazierte vom simplen Rockbeat über vertrackte Stilbrüche bis zu Sägereien an Blechrohren. Zischte sich zwischendurch ein Bier, drehte sich eine Zigarette, machte gemütlich Pause, während die anderen sich abschufteten. Worauf ihn Diesner mit heftigen Drohgebärden sofort wieder an die Arbeit rief. Diesners Saxophonspiel, ebenso zwischen Perfektion und Improvisation pendelnd wie die Posaune von Johannes Bauer, verstrickte sich explosiv mit den synthetisch manipulierten Geigenklängen von Jon Rose. Zwischendurch warf Hollinger einen Knallfrosch ins Blechrohr, stellte den qualmenden Behälter dem Publikum vor die Nase und trommelte wie um sein Leben.

Slawterhaus machen auf spontane, aber geniale Weise eine Momentaufnahme des Krachs in seiner schönsten Form. Anmutiger kann keine Massenkarambolage im Nebel auf der Autobahn sein. Andreas Becker

Die Urbane Aboriginale geht noch bis Mittwoch. Heute spielen ab 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße: Alliin Gäa (Stimme, Instrumente, Performance) und The 13th Tribe, Musik für Plexiglasröhren von Werner Durand und Erik Balke.