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Die vielen Feinde von Union Berlin

■ Nur ein Zweitliga-Verein erreichte das Pokal-Halbfinale

Köpenick (taz) — Union Berlin gegen den FC Karl-Marx-Stadt: Das war der allermieseste Auftrag, den mir die hochgeschätzten taz-KollegInnen des Sportressorts an diesem Wochenende aufbrummen konnten. „Geh doch zu diesen Unionern nach Köpenick zum Pokal-Viertelfinale“, schlugen sie hinterlistig vor, „da kennst du dich doch aus, bist doch von dort.“

So ging ich dann zum letzten Zweitliga-Vertreter im Pokalfight Nordost und kam auch wieder zurück: mit Nierenschmerzen, Husten, Eisfüßen und großer Freude über das Ergebnis, das aus humanitären Gründen vom 1.FC Union noch in der regulären Spielzeit fertiggestellt wurde. Vorher jedoch beobachteten 2.500 Zuschauer in der „Alten Försterei“ den Kampf des Ostberliner Lieblingsvereins gegen seine vier Feinde.

Feind Nummer eins: der Lostopf. Er bescherte dem Liga-Zweiten mit dem FC „Chemnitz“ Karl-Marx- Stadt einen Gegner, der als Tabellen- Elfter der Oberliga allmählich den Blickkontakt zu seinem Saisonziel, dem Bundesliga-Aufstieg, verliert. Da immer noch offen ist, ob der Ost- Pokalsieger im nächsten Europacup starten darf, konzentrieren die „Himmelblauen“ zunehmend ihre schwindenden Kräfte auf den Pokal.

Der zweite Feind war das Wetter. Nieselregen von flexibler Intensität, spätherbstlich unfreundliche Kühle und die beginnende Dämmerung im flutlichtlosen Stadion sorgten für äußere Bedingungen, die selbst dem treuesten Fußballfan die bohrende Frage stellte, warum er fröstelnd dort saß , wo er gerade saß. Den Journalisten, diesen gottlosen Objektivisten, war es nach 75 Minuten beim 0:0 egal, wer das Tor schießt. Hauptsache: keine Verlängerung.

So konzentrierte man sich immer mehr auf Unions dritten Feind: Rico Steinmann. Dem von Bundesliga- Vereinen umworbenen, von Gegenspielern gefürchteten Schwarzschopf war am ehesten das goldene Tor zuzutrauen. Aber außer einem um die Berliner Mauer gezirkelten 30-Meter-Freistoß war auch er ungefährlich.

Blieb noch der vierte Feind: Unions eigene Nerven. Vor allem Mencel ignorierte beständig hervorragende Torchancen. Als der Berliner Stürmer den Ball vier Meter vom gegnerischen Kasten entfernt vor den Füßen hatte, säbelte er daneben — zum Jammer der immer mehr bibbernden Zuschauer.

Doch dann kam die 80. Minute und Thomas Grether. Feind Wetter konnte ihm nichts anhaben, Feind Steinmann war zu weit weg, und auch Feind Nerven hatte Grether im Griff. Er zog von der Mittellinie in Richtung Strafraum und schob das Leder seelenruhig in die linke Ecke.

Der 1. FC Union Berlin gewann gegen den FC Karl-Marx-Stadt 1:0, zog ins Halbfinale des Pokals ein und hofft nun auf ein Heimspiel. bossi

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