Boris: „Der Traum ist aus...“

■ Die selbsternannte Nummer eins Boris Becker flog im Frankfurter Halbfinale mit Pomp und Trompeten gegen Yuppie-Agassi mit 6:2 und 6:4 raus und aus allen Wolken

Frankfurt/Main (taz) — Er ist hinüber — „enfant perdu“: Boris Becker aus Leimen erschien am Sonnabend nicht einmal mehr zur obligatorischen Pressekonferenz. Nach seiner Niederlage gegen Andre Agassi (6:2/6:4) und dem Sieg von Stefan Edberg gegen Altmeister Ivan Lendl (6:4/6:2) packte Becker im Nobelhotel Arabella noch in der Nacht seine „Siebensachen“ und kehrte — zusammen mit Busenfreund Carlo Thränhardt — der Mainmetropole Frankfurt enttäuscht den Rücken: „Urlaub“ stehe jetzt auf dem Terminkalender des Mannes, der sich vorgenommen hatte, den Schweden Stefan Edberg vom Tennisthron zu stoßen und sich selbst die ATP-Königskrone aufs rotblonde Haupthaar drücken zu lassen, vermeldete eine deutsche Sonntagszeitung — Halbpension in einem Karibikhotel mit Tenniskurs?

Daß Becker im Halbfinale an Agassi scheiterte, lag nicht am lädierten Oberschenkel des robusten Deutschen, sondern an eben diesem Andre Agassi (20), der zur Zeit das beste Tennis seines Lebens spielt. Mit seinem Anspruch, die Nummer eins der Weltrangliste zu werden, hat Boris Becker in Frankfurt hoch gepokert — doch Agassi aus der Spielermetropole Las Vegas hatte mehr Asse im Ärmel als der ausgelaugt wirkende Schützling von Trainer Bob Brett.

Ein rundes Dutzend dieser Asse haute der unrasierte US-Amerikaner „uns Boris“ um die Ohren — und gedemütigt trat Becker gegen das Sitzkissen eines Balljungen, schimpfte mit den Linienrichtern und haderte am meisten mit sich selbst: „Mist, Mist, Mist!“

Der starke Service entscheide eben ein Spiel, meinte Ex-Becker- Trainer Günter Bosch, der am Sonnabend gleichfalls eine safige Niederlage einstecken mußte. Sein Sabbel- Sender SAT 1 schaßte den sensiblen Tennistrainer und Moderator noch vor dem Becker/Agassi-Match, weil der Mann zuvor die Zuschauer mit „Dauerquasseln in unerträglichem Tonfall“ zu Tode gelangweilt habe. Becker und Bosch — irgendwie scheinen beide selbst in der Niederlage noch immer ein Team zu sein.

Daß Stefan Edberg in der Nacht zum Sonntag Ivan Lendl gleichfalls glatt in zwei Sätzen besiegen konnte, überraschte dagegen kaum einen der knapp 9.000 Tennisfans in der Festhalle. Konstanter als Edberg spielte im abgelaufenen ATP-Jahr kein anderer Crack — und Edberg zog auch in Frankfurt auf die Weltranglistenführung seine Kreise. Falls der Schwede ohne Nerven gestern Abend im Endspiel auch den Irrwisch Agassi besiegt haben sollte, geht der Mann aus Väsetervik mit einem größeren Punktevorsprung auf der Weltrangliste in die neue Saison, als vor den ATP-Championships in Frankfurt. Boris Becker, ein „Looser for two times“: Kein ATP-Finalsieg, keine Spitzenposition auf der Weltrangliste.

In Frankfurt ging gestern mit dem Finale Edberg/Agassi nicht nur ein sportliches Großereignis zu Ende. Die ATP-Championships am Main waren vor allem auch ein gesellschaftliches „highlight“. Und der Veranstalter stellte täglich in seinem Extrablatt „Court-Geflüster“ all die Stars und Sternchen aus Showbusineß, Wirtschaft und Politik vor, die den Weg in die Logen der Festhalle gefunden hatten — allen voran der Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD), der kaum ein Spiel auf dem Center Court versäumte. Der Tenniszirkus in Frankfurt hat seine Zelte abgebrochen, aber in exakt einem Jahr heißt es wieder: „Meine Damen und Herren, Ladies and Gentleman! Bitte begrüßen Sie den Weltranglistenführer Andre Agassi!“ — oder was, oder wen? Klaus-Peter Klingelschmitt