Vietnam-Veteranen warnen vor Golfkrieg

In den USA beginnt eine offene Debatte über die Ziele der Intervention am Persischen Golf/ Unbehagen über die Aussicht eines militärischen Vorgehens gegen Saddam Hussein/ Die Kriegsbefürworter sitzen in den Zeitungsredaktionen  ■ Aus Washington Rolf Paasch

„Army & Navy Club“ an der 17. Straße, 9.30 Uhr morgens: Mehr als zwei Dutzend Kamerateams drängen sich in den kleinen Raum, in dem Vietnam-Veteranen ihre Pressekonferenz zum Golfkonflikt abhalten wollen. Einer der Kameraleute war selbst in Vietnam. „Fucking Business, sag' ich Dir“, erklärt er dem jungen Reporter an seiner Seite. „Sei nur froh, wenn sie Dich nicht im Januar zur Berichterstattung an den Golf schicken“. Und dann geht's los.

„Wir sind keine Peaceniks und keine Kriegstreiber, wir sind eine neue Stimme“, stellt John Wheeler, Absolvent des Jahrgangs 1966 der Kadettenschule von West Point, seine kleine Gruppe von Vietnam- Veteranen vor. Wheeler hat dazu beigetragen, daß das Vietnam-Memorial in Washington entstand; die Namen aller 58.000 in Südostasien gefallenen US-Soldaten sind dort in schwarzen Marmor eingraviert. Außerdem war Wheeler Wahlhelfer der Reagan- und Bush-Kampagnen. Auch die anderen, die nach ihm ans Mikrofon treten, bezeichnen sich selbst als überzeugte Patrioten: Mary Haneke mit ihrem Ehemann Bill, der als humpelnder Krüppel aus Vietnam zurückkam. Und Paul Bucha, Träger der „Medal of Honor“ der 101. Luftlandedivision, der sich fatal an Indochina erinnert fühlt beim Gedanken an eine militärische Verwicklung in einer Region, deren Bedingungen man kaum verstehe und in der der Kolonialismus willkürlich Grenzen zog.

Sie alle sind nicht etwa gegen einen Krieg — sie wollen nur, daß endlich eine Debatte über Zweck und Ziel eines militärischen Eingreifens geführt wird, nachdem sie bis zu den Wahlen am 6. November vom politischen Establishment erfolgreich verhindert worden war. „Ich muß doch mehr darüber wissen, ehe ich nach meinem Mann nun auch meine Söhne in den Krieg schicke“, fordert Mary Haneke.

Während die in den letzten Tagen von Kongreßabgeordneten beider Parteien begonnene Debatte über das US-amerikanische Eingreifen am Golf schon wieder in parteipolitisches Gezänk ausgeartet ist, meinen es die Vietnam-Veteranen ernst, wenn sie von George Bush Aufklärung einfordern. Sie wollen eine Wiederholung der schmerzlichen Vietnam-Erfahrungen um jeden Preis vermeiden. Sie wollen vorher die Kosten kennen, denn einen Krieg, der abermals 500 Milliarden Dollar verschlinge, könne sich das Land einfach nicht mehr leisten. Sie sind im Ernstfall gegen die Einmischung von Politikern in die Kriegsführung und gegen die Entsendung von unerfahrenen Journalisten an die Front. Sie wollen, daß Politiker und Kommentatoren, die sich, wie Vizepräsident Dan Quayle, erfolgreich um den Einsatz in Vietnam gedrückt haben, zu den militärischen Entscheidungen am Golf das Maul halten. Sie wollen vor allem Respekt für die kämpfenden Kids, die am Ende im Wüstensand die tödliche Drecksarbeit für die Nation leisten müssen. „Und von den Kriegsgegnern“, so fügt John Wheeler hinzu, „wollen wir wissen, wofür sie denn überhaupt jemals kämpfen würden“, damit eine Debatte überhaupt möglich werde.

Ihrem öffentlichen Auftreten, so erklärt John Wheeler, seien in den letzten Tagen Gespräche mit über hundert Vietnam-Veteranen vorausgegangen. Deren Ergebnis bestätigen das Bild, daß die Bevölkerung der Vereinigten Staaten alles andere als kriegsbegeistert ist — ganz im Gegenteil. Sie sind schon heute, vor Beginn der Kampfhandlungen, skeptischer als im dritten Jahr des Vietnamkriegs.

Wenn überhaupt, dann schlägt einem die Kriegstreiberei aus den Kommentarspalten der Zeitungen oder den Fernsehstationen mit ihrer sensationalistischen Berichterstattung entgegen, nicht aber aus von Militärfamilien dominierten Orten wie Fort Bragg in North Carolina oder Rome in New York, wo gelbe Schleifen an den Briefkästen von der Entsendung eines Familienmitglieds an den Persischen Golf künden.

Es ist die Elite, deren Kinder beim Sterben nie dabei sind, die auch im Golfkonflikt ein strategisches Kurzzeitdenken pflegt. Von den 290.000 im Zweiten Weltkrieg gefallenen US-Soldaten hatten 500 einen Universitätsabschluß; von den 58.000 US-amerikanischen Vietnamkriegsopfern nur noch mehrere Dutzend; und am Golf würden es noch weniger sein. Kein Wunder, daß es in diesen Tagen nur die Sandkastenstrategen in den Washingtoner Think Tanks mit der militärischen Intervention eilig haben. „Dabei haben wir es am Golf mit einer Region zu tun“, so warnt Paul Bucha, „in der Geschichte und Geduld einen ganz anderen Stellenwert haben als in den noch jungen Vereinigten Staaten.“

Im Zweiten Weltkrieg sei das Ziel klar gewesen; auch deshalb hätten die USA gewonnen. In Korea sei es erst dann schief gegangen, als sich General McArthur von seiner Mission habe ablenken lassen und prompt von den Chinesen am Yalu-Fluß geschlagen wurde. „In Vietnam“, so Bucha, „hatten wir überhaupt nie ein klares Ziel.“

Genauso in Saudi-Arabien: „Geht es ums Öl, um die Prinzipien der USA, um Kuwait oder die militärische Schlagkraft Saddam Husseins?“ All dies sei viel zu unklar, klagt Paul Bucha, selbst unsicher über das Ergebnis der auch von ihm geforderten Debatte. Er zweifelt vor allem, daß an deren Ende noch der Rat zur militärischen Intervention stehen könnte.

Ehemalige Wahlhelfer kritisieren den Präsidenten; professionelle Patrioten warnen vor einem voreiligen Krieg; gestandene Rechte fordern eine offene Debatte, sogar auf die Gefahr hin, daß am Ende ein Truppenabzug stehe: Die sonst so abgebrühte Presse gibt sich überrascht. „Das ist überzeugender als eine Demonstration von Kriegsdienstgegnern“, flüstert einer der Journalisten seinem Kollegen zu.

Draußen im Korridor wird Mary Haneke noch einmal zur Sicht der Frauen befragt: „Ich will nur, daß sie unsere Soldaten diesmal besser schützen als in Vietnam“, sagt sie, „daß sie mir meinen Sohn in einem besseren Zustand zurückbringen als meinen Ehemann.“ Im Hintergrund steht Bill Haneke, auf seine Krücken gestützt, und nickt. Nach Vietnam, gegen die kommunistische Gefahr, so hatte er vorhin erklärt, würde er noch einmal ziehen. Aber an den Golf? Da hat auch er seine Zweifel.