Die DDR ein Riesentotenwagen?

Der General mit Schmiß vom Wehrkommando Ost, die Großindustrie und die Banken, Kohl und Schönhuber, die alten NS-Schreibtischtäter, sechs falsche Heinos und die Richter in den roten Roben und der Freisler- Maske — sie alle sagen: „Wir sind das Volk“. Ostwärts soll es wieder gehen, die Koffer liegen gepackt auf den Militär-LKWs. Deswegen muß er wieder her, der tote Soldat, eingegraben bis gestern in Bonn, damit der „anachronistische Zug“ auf die Reise nach Berlin gehen kann.

Rund 150 Leute mit Dutzenden von Fahrzeugen machen bei der szenischen Darstellung des Gedichts von Bertold Brecht mit, die bis zum Wahltag am 2. Dezember vor allem durch die ehemalige DDR tourt. Der aggressive Militarismus und Rechtsradikalismus, das für den Profit über Leichen gehende Kapital, die willfährigen Blutrichter, die öffentlichen Speichellecker — sie alle finden sich im Zug zusammen. „Holpernd hinter den sechs Plagen fährt ein Riesentotenwagen“, heißt es im Gedicht: im Zug folgt ein kleiner Trabi mit dem Transparent: „Wir waren das Volk“.

Der Aufwand ist eindrucksvoll — und bleibt dennoch fragwürdig. Hat dieses Abbild irgendetwas mit der realen Bundesrepublik gemein, kann die plumpe Darstellung, in der etwa dicke Mercedes-Limousinen das Großkapital symbolisieren sollen, reale Herrschaftsmechanismen der BRD bloßlegen? Mit diesem Land hat die Darstellung nichts zu tun — trotz Rechtstendenzen, trotz Mutlangen und Memmingen. Die Brecht-Tochter Hanne Hiob, die in Bonn das Gedicht rezitierte, findet die Kritik „unverständlich“, der Zug selbst sei ein „Anachronismus“. Nicht einmal als künstlerische Überzeichnung, sondern als Spiegel der Realität wollen die Künstler das Spektakel verstanden wissen. „Die deutsche Vergangenheit hat die Gegenwart wieder eingeholt“, sagt etwa Alfons Lukas, der schon beim anachronistischen Zug gegen die Kanzlerkandidatur von Strauß dabei gewesen war. Gerd Nowakowski