Was kostet 1 Reizhusten?
■ Schmerzensgeldurteile: Von mißglückter Dauerwelle bis Impotenz
Hochgradige Querschnittslähmung mit verbleibender freier Bewegung des Kopfes — 350.000 Mark. Abbruch eines Teils des linken unteren Backenzahns durch den Biß auf eine in eine Pizza eingebackene Muschelschale — 350 Mark. Die fortwährenden Reizhustenanfälle eines Nichtrauchers während des Fluges von Tokio nach Hamburg aufgrund des Rauchens Dritter im Nichtraucherbereich, die zur Heiserkeit führten — 300 Mark.
Anno dazumal diente die Aufforderung zum Duell der persönlichen Genugtuung, heutzutage ist der Genugtuungsgedanke gesetzlich geregelt: Wer gesundheitlich oder körperlich verletzt oder wem die Freiheit entzogen wurde, kann für den über das Materielle hinausgehenden Schaden eine „billige Entschädigung in Geld“ — auf deutsch: Schmerzensgeld — verlangen. Und wieviel die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit im Einzelfall wert ist, darüber gibt eine von ADAC-RechtsexpertInnen zusammengestellte Liste von über 1.000 Schmerzensgeld-Urteilen deutscher Gerichte Auskunft.
Die Palette der KlägerInnen reicht von psychisch geschädigten FriseurkundInnen (200 bis 350 Mark) über Geohrfeigte (250 Mark) bis hin zu Opfern ärztlicher Kunstfehler (bis zu 300.000 Mark) und Unfallopfern (bis zu 500.000 Mark). Anspruch auf Schmerzensgeld hat zum Beispiel, wer zu Unrecht von einem Kaufhausdetektiv des Diebstahls verdächtigt und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten wird (250 Mark). Zittern, Würgen und Weinkrämpfe - ausgelöst durch Tiefflieger: hierfür gab es 600 Mark. Schmerzensgeld bekam auch die Dame, die durch nächtliche Geräuschbelästigung einen Herzanfall erlitt — da ihre Nachbarn das Summen ihres Kühlschrank als zu laut erachteten, warfen sie drei Nächte lang für jeweils zehn Minuten einen defekten Motor an.
Weit entfernt von solchen Ausuferungen nachbarlichen Kleinkrieges: Auch Vergewaltigungsopfer können den Schmerzensgeld-Paragraphen 847 BGB in Anspruch nehmen. Und da heißt es wörtlich: Ein gleicher Anspruch (auf Schmerzensgeld, d. Red.) steht einer Frauensperson zu, gegen die ein Verbrechen oder Vergehen wider die Sittlichkeit begangen oder die durch Hinterlist, durch Drohung oder unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt wird.“ Die erzwungene außereheliche Beiwohnung“, sprich die zweifache Vergewaltigung einer Frau durch vier Männer, wurde mit 12.000 Mark entschädigt. Eine Fall von Verführung, der zu gerichtlichen Konsequenzen geführt hat, ist allerdings nicht erwähnt.
Die fehlerhafte Penisimplantation, die zum Verlust der natürlichen Erektion führte, wurde von einem Gericht mit 50.000 Mark bemessen. Begründung: Unter Zugrundelegung des Kulturkreises des Klägers (ein 52jähriger Türke) ist dessen Selbstwertgefühl besonders in Mitleidenschaft gezogen.Gerade mal die Hälfte, nämlich 25.000 Mark, war dagegen die Anorgasmie einer Frau wert. Fast 50 Prozent Zuschlag — 35.000 Mark — gab es bei der Verunstaltung der Brüste einer Frau — Begründung: Die weibliche Brust gehört zu den sogenannten emotional hoch besetzten Körperteilen, deren Schädigung häufig psychische Beeinträchtigung zur Folge hat. Nachhilfeunterricht in den Möglichkeiten der sexuellen Befriedigung sollte dem Gericht gegeben werden, das die Kohabitations-, also Beischlafsunmöglichkeit einer Frau mit der Unmöglichkeit sexueller Erfüllung gleichsetzte — dafür betrug das Schmerzensgeld hier immerhin 50.000 Mark. (Sollte nicht das Schmerzensgeld eigentlich an den Ehegatten gezahlt werden, da er seine Frau nun nicht mehr benutzen kann?)
Die zum Teil sensationell hohen Schmerzensgelder, die in den USA zugebilligt werden, beruhen übrigens auf einer anderen Grundlage als hierzulande: Die Millionenbeträge umfassen nicht nur das reine Schmerzensgeld, das unabhängig vom materiellen Schaden gezahlt wird, sondern auch Verdienstausfall, Heilbehandlungskosten, Bestrafungsgelder — und die 30-50 Prozent Erfolgshonorar für die Rechtsanwälte. Susanne Kaiser
