: „Hört Ihr unwürdige Musik?“
■ Auf ihrem Bezirkskongreß im Weserstadion stärken sich die Zeugen Jehovas in ihrem Glauben
Bruder Hans Rusch ist Vollzeitverkünder und reist von Versammlung zu Versammlung. Einer der wenigen reisenden Ältesten bei den Zeugen Jehovas, die ihr Zeugnis hauptberuflich ablegen. Es ist Freitag nachmittag, Weserstadion Bremen. An dieser heiligen Stelle hat Michael Kutzop 1986 per Elfmeter in der 86. Spielminute die Deutsche Fußballmeisterschaft gegen Bayern München verschossen: Bis morgen wird hier gebetet, gesungen und gepredigt.
Einmal jährlich kommen die Zeugen Jehovas zu einer Bezirksversammlung zusammen. „Um die Öffentlichkeit zu informieren und uns im Glauben zu festigen“, sagt „Nachrichtensprecher“ Klaus Hoffmann. Gestern waren es 5.000 aus Bremen, Niedersachsen-Nord und Hamburg, bis zum Sonntag erwarten die Veranstalter 15.000 Glaubensbrüder.
Es ist heiß im Stadion. Die Hitze der letzten Tage staut sich in der Arena. Eine Stimme aus der Stadionregie ruft die Brüder aus der Mittagspause: „Wir erinnern gerne daran, daß in zwei Minuten das Programm beginnt.“ Wer bis dato in der „Versammlung“ noch ein Schwätzchen hielt, eilt schleunigst auf seinen Platz, viele halten Schreibzeug bereit, Bibel und Gesangbuch sind parat: Hier sind durch die Bank alle vertreten: Säuglinge, Kleinkinder, Jugendliche, Vater, Mutter, Oma, Opa, leger oder korrekt gekleidet.
Die Versammlungsleitung will
Die Bibel immer griffbereit lauschten tausende im Weser-Stadion ihrem PredigerFoto: Tristan Vankann
nach einer „wunderbaren Königsreichmusik“ vom Band mit Lied 38 in den Nachmittag einsteigen. Dann die Predigt. Bruder Rusch erlaubt sich, „einmal ein paar ernsthafte Fragen zu stellen“. Sein Thema: Wie Christen Werke der Finsternis ablegen. Die Welt ist voller Versuchungen, und die Zeugen Jehovas müssen ihnen täglich widerstehen. „Hört Ihr unwürdige Musik? Habt Ihr unsaubere Gedanken? Tragt ihr T-Shirts mit zweideutigen Slogans?“ Rusch bohrt seine Fragen in die Gläubigen. Jeder dritte Satz seiner Predigt kommt
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aus der Bibel: Matthäus hier, Paulusbriefe da, Korinhter dort. Die meisten Glaubensbrüder schreiben die Zitatstellen mit, um sie später im „Heimstudium“ nachzuarbeiten.
Bruder Rusch zur Seite sitzt Bruder Udo aus Winsen an der Luhe. Bruder Udo „lebte lange mit einer ungläubigen Frau zusammen“, so daß er bis vor kurzem nach „Falschem strebte“. Glücklicherweise starb die Ungläubige 1989, so daß für den Polizeibeamten i.R. der „Weg zum Licht“ offenstand. Bruder Rusch fragt, Bruder Udo antwortet: Ja,
er hat Haus, Auto, Pferd und Fernsehen verkauft und macht jetzt „Pionierdienst“. Natürlich hat er längst eine Glaubensschwester geheiratet. Als Bruder Udo sein Zeugnis abgelegt hat, klatschen die 5.000 und freuen sich mit ihm: Bruder Udo hat den Weg zu Jehova gefunden.
Nachrichtensprecher Klaus Hoffmann hat sich mit seiner Abteilung im VIP-Raum des Weserstadions eingerichtet. Ein Bruder Ordner führt mich direkt an seinen Tisch. Von hier aus werden Faxe in alle Himmelrichtungen versendet, die Pressemeldungen von der Bilanz des ersten Tages liegen mittags schon geordnet auf dem Tisch.
Offizieller Veranstalter des Bezirkskongresses ist die Wachturm-Gesellschaft, die Körperschaft der Zeugen Jehovas. Sie hält auch die „geistige Führerschaft“ über die Zeugen und legt die Kongreßthemen fest. „Mitgliedsbeiträge gibt es bei uns nicht, beteuert Klaus Hoffmann. Für die Finanzierung des Weser- Stadions ist im Programm ein Spendenaufruf an die Glaubensbrüder abgedruckt. Dort heißt es zuversichtlich: „Diese Unkosten werden durch eure freiwilligen Spenden gedeckt, ... und die Gesellschaft möchte euch im voraus für eure bereitwillige Unterstützung der Königsreichinteressen danken“. Beten, Predigen, Singen, Beten, Predigen, Singen... Zwischendurch werden neue Mitglieder getauft, Jehovas Zeugen tauchen wie Jesus mit dem ganzen Körper unter, „Badezeug und Handtuch selbst mitbringen“, schreibt die Prgramm-Regie vor.
Alles ist generalstabsmäßig organisiert. Für die Journalisten liegen Broschüren über Wesen und Werden der Zeugen Jehovas bereit. Als ich sie in meinen Rucksack packen will, fällt mit die Platte von B.B. King ein, die ich mit viel Glück am Morgen gefunden habe. „Hört Ihr unwürdige Musik?“ dröhnt es in meinem Ohr. Ich senke die Augen und stopfe die Informationen in meine Jackentasche. Markus Daschner
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