■ ARTUR,BERLINOID
: Berliner Verkehrsformen

All das ist schon viele Jahre her, erzählen die Freunde, die zwar noch immer in Schöneberg wohnen, aber nicht mehr gegenüber vom Sportpalast, den gibt's nicht mehr.

Die wichtigste Busverbindung war für sie seinerzeit der Achtundvierziger, heutzutage der Hundertachtundvierziger, der fuhr und fährt von der Philharmonie bis zum Fischerhüttenweg und zurück. Die Busse hatten hinten keine Türen, die Plattform war offen. Zum Fahrgastraum — jedenfalls im Winter — mit einem schweren grünen Vorhang gegen kalte Luftzüge geschützt, und die Treppe aufs Oberdeck ging auch von der Plattform ab. Man konnte während langsamer Fahrt auf- und abspringen, und wem danach war, nachfolgenden Autofahrern trefflich auf die Windschutzscheibe speien. Und Busschaffner gab's noch, martialisch anzuschauen mit den Lederriemen der Kassentasche und des Fahrscheinblocks über der Brust. In der kalten Jahreszeit trugen sie knöchellange Mäntel, mit Schaffell gefüttert und warme Stiefel mit Filzschäften. Diese Schaffner bildeten eine eigene Kaste, (fast) immer freundlich, Herz mit Schnauze und so, und sie konnten stimmgewaltig selbst muffelige Fahrgäste dazu bringen, grinsend ihren Fahrschein doch noch vorzuweisen. Einer dieser Schaffner ist für die Freunde unvergessen. Wenn er kassierte, dann war was los, dann mußte mitgefahren werden, wenigstens bis Rathaus Steglitz. Es war ja nicht nur Aufgabe der Schaffner, Billetts zu verkaufen, sie mußten auch die Haltestellen ausrufen. Und jener machte das mit einer derartigen Überzeugungskraft und Variationsbreite, daß eine Fahrt mit dem Bus allemal so anregend war wie Eddy im Kintopp. Er veränderte seine Stimmlage, ging vom Flüstern in heiseren Bariton über, sang die Frage »Jemand zugestiegen?« oder »Noch jemand ohne Fahrschein, biddäh?« wie kleine Wanderlieder.

Soll einem das Gleichmaß nicht über den Kopf wachsen, muß Erfindungsreichtum gepflegt werden, das sagt Artur auch, und dieser Mann improvisierte Zeit seiner Tätigkeit das Ausrufen der Haltestellen auswendig und hervorragend.

In Steglitz hält der große Gelbe an der Zimmermannstraße. Die andere Querstraße heißt Kieler Straße. Unser Schaffner rief stets »Kieler Zimmermann«, und an der Fontanestraße und der Von-Laue-Straße jedesmal nicht nur für Neuberliner verwirrend, »Fontanevonlaue«. Heuer leuchtet auf rotem Feld ein Schriftzug mit dem Namen der Haltestelle auf.

Man muß schon selbst wissen, wo und wie man aussteigen will, feixt Artur. Clemens Walter