Mit Schaum vor dem Mund in die »Wettarena«

■ In der Leipziger Straße gibt es jetzt eines der modernsten Wettbüros Europas/ Inhaber »Ladbroke's« sieht es als deutsches »Pilotprojekt«

Mitte. »Die sieben auf die Drei, dann hast du fünfundzwanzig!« — »Wie, was, der Jünsch auf hundertfünfundzwanzig Platz, das glaub' ich nie und nimmer.« »Was zeigt denn dieser Scheiß-Computer da an, das kann doch alles nicht stimmen?!« Eine Gruppe von Leuten hat sich vor einem der zahlreichen Videoschirme versammelt. Um einen herum flimmert's, daß es im Kopf nur so rauscht. 80 Videogeräte sorgen in der am vergangenen Mittwoch neu eröffneten »Wettarena« dafür, daß der leidenschaftliche Fan von Pferdewetten ebenso viele Pferderennen live verfolgen kann. Das Publikum, das am selben Abend die »Arena« bevölkert, ist durch das neue Wettscheinsystem verwirrt. Wie aufgescheuchte Gänse laufen die Leute konsterniert in der Halle herum, den Wettschein in der Hand. Die Atmosphäre ist angespannt. Als ich versuche, mit der Frau hinter der Wettannahme ins Gespräch zu kommen, werde ich von einer älteren Dame angefaucht: »Mit den Angestellten zu reden ist verboten.« Kommunikation darf sich hier offensichtlich nur auf Nummernreihen beschränken, Zahlenfetischismus als Ausdruck einer klassenübergreifenden Leidenschaft. Herr Hinrichs von der Geschäftsleitung bei Ladbroke's zeigt sich begeistert: »Wir werden in Deutschland völlig neue Zielgruppen in allen sozialen Schichten erschließen!« Was denn auch die erschwingliche Getränkekarte untermauert. Zwischen »Galopper Cocktails« und »Traber Cocktails« läßt auch handelsüblicher Kaffee den Blutdruck des leidenschaftlichen Wetters ansteigen. »Alle Getränke sind natürlich alkoholfrei«, erläutert Hinrichs. So steht es im deutschen »Rennwett- und Lotteriegesetz« aus dem Jahre 1922, wohl der Fairneß zuliebe. »Vorher angetrunkene Gäste komplimentieren wir gleich wieder hinaus.« Ja, einen seriösen Eindruck möchte Ladbroke's hinterlassen, die Kleidung der Angestellten ist dezent. Doch in die britisch-rustikal gehaltene Atmosphäre fügen sich Krawatten und Hemden bestens ein. Blickfang ist die große Videoprojektions-Leinwand. Auf der traben überlebensgroße Pferde vor sich hin, gelenkt von den etwas kleinwüchsigeren Jockeys, den Blick starr auf das Ziel und die Wettquoten gerichtet, die auf der gegenüberliegenden Bildschirmwand erscheinen. Man fühlt sich wie in der Bodenstation eines Raumfahrtunternehmens. Stolz zeigt Hinrichs der Presse den zentralen EDV-Raum, wo die Informationen über Rennen in aller Welt über Satellit zusammenlaufen und dann auf die Bildschirme im Wettsaal weitergegeben werden. Dieses Informationssystem (SIS) hat Ladbroke's auch schon Schwierigkeiten bereitet, als die britische Monopolkommission 1986 eine Untersuchung gegen das Unternehmen eben wegen jener Satellitenübertragung einleitete. Sie gefährde die Chancengleichheit, doch das Verfahren verlief im Sande.

Ansonsten haben die BerlinerInnen es mit einem Milliardenunternehmen bester Reputation zu tun, bis auf einen kleinen Skandal 1979, als der Firma in England die Lizenz zur Betreibung von Spielcasinos entzogen wurde, mit der Begründung, es unterlaufe die staatlichen Spielregeln. Nach seiner Gründung im vorigen Jahrhundert blieb Ladbroke's siebzig Jahre lang ein kleines Geschäft. Inzwischen gehört dem Konzern mit Milliardenumsatz unter anderem die Hilton-Hotelkette, er ist einer der Marktführer der britischen Freizeitindustrie. Und der streckt seine Fühler jetzt nach Deutschland aus. »Berlin ist für uns ein Pilotprojekt«, so Hinrichs, »wenn das hier gut anläuft, werden wir in mehreren großen Städten der Bundesrepublik weitere Filialen eröffnen«.

Herrn Albers, den eingesessenen Buchmacher in Berlin und Besitzer von sieben Wettbüros, kratzt das überhaupt nicht: »Was der Ladbroke da für neu verkauft, haben wir schon seit drei Jahren. Englische und französische Rennen bekommen auch wir in Liveübertragung über Satellit.« Konkurrenz wird nicht gefürchtet. »Kann sein, daß der Laden von Ladbroke's größer ist als einer der unseren, dafür braucht der Kunde bei uns nur um die Ecke zu gehen.«

Jochen Krutschinna, Inhaber einer kleinen Wettfiliale der Rennbahn Mariendorf, sieht das anders. »Sie müßten das einmal miterleben,« schwärmt er, »wie die Jungens hier auf und ab springen, wenn die Wette läuft. Denen steht der Schaum vorm Mund, sie laufen hektisch auf und ab, rauchen eine Zigarette nach der anderen. Und die wollen jetzt alle zu Ladbroke gehen.« Der zwischenmenschliche Kontakt beim Wettereignis ist für Krutschinna wichtig: »Wir arbeiten hier auf Provisionsbasis. Wir freuen uns mit jedem Wetter, wenn der gewinnt. Beim Buchmacher ist das anders. Der macht seinen Gewinn mit den Verlusten der Leute. Moralisch gesehen muß man doch so was verurteilen.« Im Gegensatz zu Albers, der Ladbroke's auf der Basis »Konkurrenz belebt das Geschäft« den Kampf ansagt, sieht sich Krutschinna schon nur noch Lottoscheine verkaufen. Ab 1993, wenn sich das EG-Recht durchsetzt, könnten Wetten auch auf andere Sportarten erlaubt werden, so wie in England schon üblich. Ladbroke's jedenfalls spekuliert darauf. Mirko Heinemann