Steffi Graf ist heiß auf Revanche

■ Steffi Graf und Monica Seles bestreiten das Finale von Wimbledon — eine brisante Paarung, nachdem Seles die Brühlerin bei den French Open aufs heftigste besiegt hat

Berlin (dpa/taz) — Monica Seles ist ihr Geschrei nun selber leid. „Ich habe es satt, daß alle darüber lästern. Nach dem Turnier gewöhne ich mir das Stöhnen ab. Das ist besser für meine Gegnerinnen, die Schiedsrichter und für mich.“

Die plötzliche Einsicht der lauten Weltranglisten-Ersten aus Jugoslawien ist das Ergebnis einer gezielten Offensive ihrer genervten Gegnerinnen. Nathalie Tauziat nämlich enttarnte den Seles-Lärm als heimtückische Taktik: „Ich kann nicht mehr hören, wann sie den Ball schlägt. Außerdem habe ich sie im Training beobachtet. Das kreischt sie bei weitem nicht so laut.“

So hagelt es in Wimbledon Beschwerden zuhauf gegen Monica Seles. Kaum kommen die Gegnerinnen in Bedrängnis, eilen sie zum Richterstuhl und fordern, die Seles zu verwarnen — eine geschickte Gegentaktik, um die Jugoslawin aus dem Rhythmus zu bringen. Doch derart billige Tricks tangieren die abgebrühte 18jährige kaum. Wütend preßt sie die Lippen noch ein bißchen mehr aufeinander, kneift die Augen drohend zusammen und haut noch ein bißchen fester auf den Filz ein.

Auch die neunmalige Wimbledon-Siegerin Martina Navratilova, die immer behauptet, das Gestöhne störe sie nicht, ließ die Seles im Halbfinale vorsichtshalber verwarnen. Geholfen hat ihr dieser Schachzug nicht. Haarscharf schlidderte die 35jährige am Finaleinzug vorbei und mußte sich zu allem Unglück die Schuld daran selber geben: Viel zu häufig ließ die kämpferische Tennis- Diva Breakchancen ungenutzt an sich vorüberziehen. Tatsächlich entschieden nach 6:2 für Seles im ersten Satz und dem 6:7 für Navratilova im zweiten nur ganz wenige Bälle über den Spielgewinn. So mutig die Navratilova ihr aggressives Serve-and- Volley-Spiel durchzog, so kompromißlos knallte die grunzende Grundlinienspielerin Seles ihr die Passierbälle um die Ohren. Ein, zwei geniale Rückhand-Cross genügten Seles schließlich zum 6:4-Satzgewinn. Mit diabolischem Grinsen ließ sich die Nummer eins auf dem Centre Court feiern und hinterließ eine todtraurige Martina Navratilova. Nicht wenige der Zuschauer hätten der couragierten Tschechoslowakin gewünscht, hier noch einmal zu siegen. Am besten im Gleichklang mit John McEnroe: Aufstand der Altmeister.

Sicherlich wäre ein Erfolg der Navratilova auch Steffi Graf lieber gewesen, die sich in einer wahren Gala-Vorstellung gegen Gabriela Sabatini mit einem imponierenden und fehlerfreien 6:3, 6:3 zum fünften Mal ins Endspiel der All England Championships spielte. Denn Seles und Graf können sich nicht besonders gut riechen. Beide sind ungeheuer ehrgeizig und hassen nichts mehr, als zu verlieren. Immer noch kaute Steffi Graf an der Final-Niederlage gegen Seles vor vier Wochen bei den French Open und eröffnete schon mal den Psychokrieg. „Wenn ich gegen sie so spiele wie heute, brauche ich keine Angst zu haben.“ Ob auch Steffi Graf ihrer Gegnerin den Mund verbieten will, ließ sie noch offen: „Ich weiß noch nicht.“

Steffi Graf war nach der beeindruckenden Demontage ihrer Dauerrivalin schlicht happy. „Ich war vom ersten Ballwechsel an so voller Selbstvertrauen, daß ich überhaupt nie daran dachte, verlieren zu können.“ Mit dem weitaus variationsreicheren Spiel und wesentlich besseren Aufschlägen trieb sie die deutlich unter ihren Möglichkeiten spielende Argentinierin beträchtlich in die Enge. Währenddessen versuchte sich Boris Becker wieder an schönen Worten: „Es wird einige Tage dauern, bis ich die Bedeutung dieser Niederlage realisiert habe“, sprach er nach der sechsten Niederlage in Folge gegen Andre Agassi. Ansonsten aber gewann der Leimener, der seit 1988 fünfmal hintereinander im Wimbledon-Endspiel stand, seinem Wimbledon-Gastspiel eigentümlicherweise vorwiegend positive Seiten ab. „Meinem Körper und meinem Geist geht es gut. Meine Form hat sich von Match zu Match verbessert. Wenn ich sie halte, kommen schon bald wieder große Siege“, wagte Becker eine Prophezeihung, die ebenso komisch scheint wie seine Spielanalyse: „Ich habe sehr gut gespielt. Viel besser geht es kaum. Aber sobald Andre mein Gesicht sieht, spielt er gleich zwei Klassen besser.“ Gerüchten zufolge sucht Agassis Halbfinalgegner John McEnroe ganz London verzweifelt nach einer Boris-Becker-Maske ab. miß

Damen-Halbfinale: Seles (Ju) - Navratilova (USA) 6:2, 6:7 (3:7), 6:4, Graf — Sabatini (Arg) 6:3, 6:3, Damen-Doppel, Viertelfinale: Navratilova/Shriver (USA) - Faull/Richardson (Aus/NZ) 6:3, 6:1. änner-Doppel, Viertelfinale: Stich/McEnroe — Haarhuis/ Koevermanns (ND) 6:3, 6:4, 6:4.