„EG-vertraulich, EG-geheim, EG-streng-geheim“

Die EG-Zentrale will sich künftig durch strenge Geheimhaltung abschirmen/ Proteste von Journalisten und EG-Parlamentariern  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Offen, bürgernah und durchsichtig soll die Europäische Gemeinschaft werden — das schworen die Eurokraten wieder einmal nach dem Nein der Dänen zu den Maastrichter Verträgen. Von den Reformvorschlägen betroffen ist vor allem die EG-Zentrale in Brüssel. Denn die bürokratischen Auswüchse und zentralistischen Ambitionen der Eurokraten sollen schließlich den Ausschlag für das Votum der Dänen gegeben haben. Doch weit davon entfernt, den Glasnost-Wünschen entgegenzukommen, plant die EG-Behörde eine Regelung zur Geheimhaltungspflicht — weil sie immer mehr Zuständigkeiten für „sensitive“ Themen wie Verteidigung, innere Sicherheit, Immigration, Drogen und Terrorismus übernimmt. Unterstützt wird die EG-Kommission dabei pikanterweise von der britischen Regierung, die sich ansonsten als Fürsprecherin von Offenheit und Subsidiarität in der EG gebärdet.

Damit Pläne und Unterlagen der EG-Institutionen nicht in die falschen Hände — sprich Öffentlichkeit — gelangen, hat die Generaldirektion der Kommission unter Umgehung sogar der eigenen Abteilungen ein Klassifizierungsschema vorgeschlagen — ähnlich den Gepflogenheiten der ebenfalls in Brüssel beheimateten Nato. Je nachdem, wie wichtig eine Verschlußsache ist, würde sie als „EG-vertraulich“, „EG-geheim“, oder sogar „EG- streng-geheim“ eingestuft. Betroffen wären alle Informationen, „deren unbefugte Verbreitung den wesentlichen Interessen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten schaden würde“.

Was darunter zu verstehen ist, bleibt der Definition der EG-Regierungen und der EG-Kommission überlassen. Für „gefährlich weil zu vage“ hält dann auch die Präsidentin der Internationalen Journalistenvereinigung, Mia Doornaert, das Vorhaben: „Um den freien Austausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen im zukünftigen Binnenmarkt zu gewährleisten, soll der freie Fluß von Informationen unterbunden werden.“ Eine Weitergabe von als geheim eingestuften Berichten würde streng bestraft. Betroffen wären ihrer Meinung nach primär Journalisten, die den schon heute meist nicht sehr mitteilungsfreundlichen EG-Beamten die Informationen mühsam aus der Nase ziehen müssen.

Gegen die Verabschiedung des Vorschlags durch den Ministerrat wehrt sich auch das Europaparlament. Denn häufig sind die Abgeordneten die letzten, die die aktuellen Dokumente zu anstehenden Entscheidungen erhalten. Dieser Trend könnte sich durch die geplante Regelung noch verschärfen, fürchtet jetzt der medienpolitische Sprecher der Sozialistischen Fraktion, Dieter Schinzel: „Der Kommissionsvorschlag läuft diametral den Forderungen des Parlaments entgegen und würde zu einer noch größeren Abschottung der EG-Institutionen von den Bürgern führen.“

Die Regierungen und die EG-Behörde sollten aufhören, die Bürger als unmündige Untertanen zu behandeln. Diese und die Medien müßten statt dessen grundsätzlich ein Recht auf Zugang zu Informationen öffentlicher Verwaltungen haben, weil dadurch Entscheidungsprozesse transparenter und kontrollierbarer würden. Gerade für die EG sei dies wichtig, so der SPD-Politiker aus Aachen: „Denn sie betreibt ihre Politik mehr und mehr hinter verschlossenen Türen.“

Diese Tendenz würde durch das neue Gesetz noch verstärkt: „Im Extremfall“, so Schinzel, „könnte ein Mitgliedsland wie Großbritannien, wo die Verwaltung einem offiziellen Geheimhaltungsrecht unterliegt, jedes EG-Dokument als geheim klassifizieren lassen“.

Um dies zu verhindern, hat er in seinem nächste Woche bei der Plenartagung des Europaparlaments in Straßburg zur Diskussion stehenden Bericht eine zentrale Forderung eingebaut: ein EG-weites Zugangsrecht zu Informationen gemeinschaftlicher und nationaler Behörden, ähnlich wie es die US-Bürger mit dem Freedom of Information Act seit 1974 besitzen und wie es auch in Holland, Dänemark und Schweden existiert.