Im Osten investieren nur die Schlauen

Internationale Unterweltgruppen pumpen Milliardensummen auf dunklen Kanälen in brachliegende Firmen und Ländereien/ Schwere Hypothek für die Zukunft der ehemaligen Ostblockstaaten  ■ Aus Rom Werner Raith

Wenn Carlo Azeglio Ciampi, seines Zeichens Notenbankpräsident in Rom, seine Jahresberichte miteinander vergleicht, kommt ihm — nach Aussage eines Mitarbeiters — „fast das Heulen“: Seine hoffnungsvollen Anregungen für die Wirtschaft, die er vor drei, vier Jahren gegeben hatte, wurden in nahezu pingeliger Gründlichkeit erfüllt — nur waren es die falschen Leute, die sich an seine Texte gehalten haben.

„All das, was wir empfohlen hatten, um die Wirtschaft der auseinanderfallenden Ostblockstaaten zu stützen und für uns investabel zu machen“, so der Ciampi-Mitarbeiter, „war natürlich für unsere großen Manager und Konzernführer gedacht. Doch statt dessen ist nun Geld fast ausschließlich über dunkle Kanäle in den Osten geflossen — mit kaum noch behebbaren Konsequenzen.“ Das sei eine Hypothek für die Zukunft, die den demokratischen Staaten des Westens noch viel Schwierigkeiten bereiten werde.

Es sind tatsächlich horrende Zahlen, die Italiens Behörden ermittelt haben. Demnach haben Mafia-Gruppen aus Sizilien und Camorra-Gangs aus der Campania um Neapel in Zusammenarbeit mit ihren internationalen Geschäftspartnern bereits mehr als sieben Milliarden US-Dollar in die früheren Satellitenstaaten der UdSSR gepumpt — in einigen Fällen gegen Lieferung von Waffen aus Armeebeständen, zum großen Teil jedoch als Anlagen in den Oststaaten selbst.

In einer einzigen Aktion, in der italienische, österreichische, deutsche und schweizer Gangster zusammenarbeiteten, wurden 40 Millionen schwarzer Dollar zunächst in Rubel und später in Goldzertifikate aus Ex- UdSSR-Beständen umgetauscht. Nach den Erkenntnissen des italienischen Anti-Mafia-Hochkommissariats, der amerikanischen Anti-Drogenbehörde DEA und des Bundeskriminalamts waren die sizilianischen Mafiosi Giovanno Lo Casco, Giuseppe und Antonio Velci, Geatano Troia und Francesco Marullo sowie der deutsche, in Oberitalien ansässige Elektronik-Ingenieur Ulrich Bahl in die „Rubel-Connection“ verwickelt. Da sie nun schon mal bei einer Großaktion waren, setzten die Unterweltler gleich noch eins drauf und versuchten, den Russen in Sizilien gedruckte Dollarblüten anzudrehen — was dann der Grund dafür war, daß die gesamte Gang aufflog.

Schwarzgeschäfte auch in der ehemaligen DDR

Auch über die ehemalige DDR ergießen sich mittlerweile grenzüberschreitende Schwarzgeschäfte in steigendem Maße, wie die deutschen Polizeidienststellen bestätigen. Dabei geht es zunächst weniger um den Finanzsektor oder um produktive Investitionsbereiche, als vielmehr um Waren, die in den Markt geschmuggelt oder vom freien Verkauf ausgeschlossen sind: von Pelzjacken (die teilweise nicht einmal echt sind) bis hin zu Rauschgift. Allerdings nimmt nach Beobachtungen der deutschen Polizei in den neuen Bundesländern der illegale Geldverleih, sprich Wucher, rapide zu — eine Folge der Verarmung im Osten. Der überwiegende Teil des verliehenen Geldes stammt aus illegalen Aktivitäten im Ausland, so vermuten die Behörden.

Die Anlage riesiger Geldmengen im Osten macht — da hatte Italiens Notenbankpräsident sicher den richtigen Riecher — für die Unterweltler Sinn: Seit sich die meisten legalen Geschäftsleute, die großen Konzerne und die für sie geradestehenden westlichen Länder über Gebühr knausrig bei ihren Investitionen im Osten zeigen, nimmt nicht nur der Bürger in der GUS oder in Polen, sondern auch der Staat Geld, wo er es bekommen kann. „Die honorigen Manager“, so ein vertrauliches Papier der Brüsseler EG-Kommission, „scheinen an ihren Wunschvorstellungen aus der Mitte der achtziger Jahre festzuhalten: Damals dachten sie an einen sich eröffnenden riesigen Markt mit schnellen Gewinnen; statt dessen wäre eine geduldige, weitsichtige Anlagepolitik vonnöten, die die Wirtschaft im ehemaligen Ostblock soweit wie möglich vor dem massiven Zufluß von Schwarzgeld schützt.“

Rubelauktion in Moskauer Zentralbank

Wie tief die Dunkelmännerzirkel bereits in die Wirtschaft des Ostens eingedrungen sind, zeigen die Zahlen, die ab und zu aus der neukonstituierten Moskauer Zentralbank herausdringen. So mußte der Präsident der Notenbank Anfang dieses Jahres gleich mehrere Male intervenieren, um illegale Rubelversteigerungen im eigenen Haus zu unterbinden. Am 17.Januar gingen auf einen Streich 14 Milliarden Rubel gegen 117 Millionen Dollar über den Tisch. Die Käufer der offiziell verfallenden, bei Spekulanten jedoch mittlerweile sehr beliebten Ostwährung sind durchweg anonyme Finanzgesellschaften aus dem Westen, vor allem aus Italien und der Schweiz, hinter denen die Ermittler riesige Geldwaschanlagen krimineller Gruppen vermuten. Bei einer dieser illegalen Auktionen entdeckten V-Leute der russischen Kripo Finanzgesellschafter aus Zürich, Genf, Wien, London und New York.

Die Rechnung der Spekulanten ist einfach: Auf Dauer werde der Westen es sich nicht leisten können, das Reich im Osten noch weiter verfallen zu lassen. Eine riesige Aktion zur Wirtschaftssanierung durch den Westen sei spätestens dann nicht mehr aufzuschieben, wenn das Land zur leichten Beute für die Atomnachbarn China und Indien oder gar angreifbar für Mittelmächte wie Pakistan würde. Eine starke Investitionstätigkeit aus dem Ausland ist aber nur durchsetzbar, wenn die dann im Osten produzierten Waren gewinnbringend abzusetzen sind. Das wiederum gehe nur, wenn auch der Rubel zu gewissem Ansehen komme. Dann werde der Kauf der maroden russischen Währung kräftig Früchte tragen.

Ländereien und Firmen zu Spottpreisen

Doch die Gaunerbanden denken noch viel weiter. Auch das ist den italienischen Finanzhütern schneller als den Wirtschaftsführern und Politikern anderer westlicher Länder aufgefallen: Um nicht der Unbill möglicher Finanzmanipulationen durch den russischen Fiskus ausgesetzt zu sein - wie damals, als plötzlich die alten in neue Geldscheine umgetauscht wurden, um die Ausfuhr durch alte KGB-Kader und Politruks zu verhindern -, kaufen sich die internationalen Schwarzgeldgruppen auch in alle möglichen Kombinate in der GUS, in Polen, der CSFR, in Albanien, Rumänien und Bulgarien ein.

Dabei macht es ihnen nicht viel aus, wenn die Werke unrentabel oder stillgelegt sind — Hauptsache der Standort ist günstig, die Terrains sind industrie-adäquat und schnell mit möglichen Zukunftssektoren wie High-Tech oder Dienstleistungs- Software zu besetzen. „Das gibt diesen Gruppen nicht nur einen Startvorteil in legalen Zukunftsbereichen“, so die Einschätzung der Notenbanker, „sondern verschafft ihnen auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die künftige Wirtschaftsstruktur der einzelnen Länder: Ist Privatkapital und Privatbesitz an Boden erst einmal unantastbar geworden, können sie jeden Regierungschef in beträchtliche Schwierigkeiten bringen, wenn er seine Politik nicht nach ihren Bedürfnissen ausrichtet.“

Ein beträchtlicher Teil der nach Osten fließenden Gelder wird nicht mehr beim Ausverkauf der letzten sowjetischen Handelsgüter — von Ikonen bis zu Plutonium und technologischem Know-how — eingesetzt, sondern zum Kauf brachliegender Ländereien oder Firmen, die zu Spottpreisen zu haben sind. Manager von Fiat, dem Argrarkonzern Ferruzzi oder der High-Tech-Firma Olivetti sind immer wieder verwundert, wenn sie nach monatelangem Studium möglicher Anlageorte zum Lokaltermin in den Kaukasus oder in abgelegene rumänische, albanische oder tschechische Provinzen reisen und sich plötzlich hinter Autos mit italienischen Kennzeichen befinden. Deren Insassen legen jedoch keinerlei Wert auf den sonst so selbstverständlichen Kontakt mit neuangekommenen Landsleuten, sondern verkrümeln sich eilends.

Die Investitionen in den Produktionssektor, auch wenn dieser noch nicht operativ ist, stellen nach Ansicht des italienischen Mafia-Experten Pino Arlacchi eine „ganz besonders wichtige und beunruhigende Mutation der bisherigen Form von Schwarzgeldanlage dar“. Mafiose und camorristische Gruppen hatten — ebenso wie die zwar nicht mit ihnen verbundenen, doch schon ganz nach ihrer Methode arbeitenden Bank-Unterweltler — ihre illegalen Gelder bisher meist durch Börsenspekulation oder den Kauf von Staatsanleihen im Finanzsektor investiert. Den Erwerb von Liegenschaften oder Dienstleistungsunternehmen hatten sie eher als Geldwaschanlagen benutzt. „Wenn sie nun ihren Fuß auch noch in den bisher noch nicht von ihnen besetzten Sektor der Produktion klemmen“, fürchtet Luciano Violante, Mitglied der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission, „droht in einigen Ländern die vorprogrammierte Machtergreifung auf allen politik-bestimmenden Ebenen.“

Unterwelt schwimmt im Geld

Diese Entwicklung könnte durchaus irgendwann in den Westen hinüberschwappen, indem über Joint-ventures zuerst die langfristige Zusammenarbeit zwischen West- und Ostfirmen hergestellt wird. „Bei einer Flaute im Westen könnte das im Osten wegen mangelnder Kontrolle leicht einschleusbare schwarze Kapital dann in den westlichen Partner gepumpt und diesem dabei die Kontrolle über die eigene Firma entwunden werden“, sagt Violante.

Dabei haben die Spekulanten kaum Angst, daß sich die Investitionen im Osten als Fehlspekulation erweisen könnten, falls sich Rußland nach der derzeitigen Demokratisierungsphase etwa wieder zu Planwirtschaft und wirtschaftlichem Dirigismus gezwungen sehen könnte: Die Unterweltgruppen mit ihren enormen Profiten aus Drogen- und Waffenhandel schwimmen in einem nie versiegenden Geldstrom. Darüber hinaus sind sie Kummer mit ihren Anlagen gewöhnt: „Täglich werden ja irgendwo auf der Welt Zentner von Rauschgift beschlagnahmt, ohne daß dies die Gruppen auch nur im mindesten berührt“, sagt Violante, der vor seiner Abgeordnetentätigkeit Staatsanwalt war. „Die stecken das weg wie eine Firma, die Schmiergelder auch mal an einen Beamten bezahlt, der sich nachher als doch nicht so wichtig erweist.“