Mit der Bimmelbahn zur strahlenden Deponie

Strahlendes Wismut-Erbe lagert auch am Stadtrand von Dresden/ Die Deponien gehören heute der Kommune/ Das Trinkwasser sei nicht gefährdet, sagt das Dresdner Umweltamt/ Bündnis 90/Grüne initiierten ein Wismut-Hearing  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Steinkohle bringt die Windbergbahn keine mehr ins Tal. Heute ist die erste europäische Gebirgsbahn eine Touristenattraktion. Über hundert Jahre rumpelte sie mit Kumpels und Kohlen von Schacht zu Schacht. Die Leute tauften das Gefährt liebevoll „Heddel“, ließen sich von ihr gern zu Ausflügen in die Umgebung mitnehmen. Nun fürchtet der Museums-Eisenbahnverein, daß die serpentinenreiche Bahnstrecke stillgelegt wird, und wirbt mit Sonntagsausflügen und Geschichte zum Anfassen.

Doch die jüngste Geschichte des Bergbaus in Freital und Gittersee harrt noch ihrer Pointe. Bis 1989 wurde hier — an den Stadträndern von Dresden und Freital — Steinkohle wegen ihres Urangehaltes gefördert. So dampft „Heddel“ zu Denkmalen dreihundertjährigen Bergbaus in Sachsen ebenso wie zu den Halden des Wismut-Bergwerkes „Willi Agatz“. Sogar mit der städtischen Straßenbahn ist das strahlende Erbe zu erreichen. Aufbereitungsanlagen in Dresden-Gittersee und Freital wuschen bis 1960 das Uran aus dem Erz, dann übernahm in Seelingstädt eine neue Anlage die Wäsche, und die Deponien für den radiumhaltigen Erzsand gingen an die Kommune. Die nutzte das Becken in Gittersee als Müllhalde. Heute wachsen dort Büsche und Bäume. Als die chemisch und radioaktiv verseuchte Suppe in den unter der Halde fließenden Kaitzbach tröpfelte, führte die Wismut in einem Stollen den Bach kurzerhand um den Berg herum.

Auf Teilen dieses Geländes steht heute noch ein Betrieb des Ex-Reifenkombinates Pneumant. Sein Direktor amüsiert sich über die „panische Angst der Westdeutschen vor Strahlung“ und legt Besuchern gern mal ein Stückchen strahlende Freitaler Steinkohle auf den Tisch („Die gehen dann meistens schnell“). „Ohne meinen Liquidator“, sagt er, dürfe er kein Wörtchen über den Betrieb verlieren. Er selbst habe sich „fast ein Leben lang“ im Werk aufgehalten. Von chemischen Abfällen, die auf der Deponie lagern, würden jedenfalls größere Gefahren ausgehen als von den Strahlen.

Fragwürdiger Optimismus angesichts der 1,51 Millisievert pro Jahr, die dort gemessen wurden. Nach bundesdeutschem Recht wäre die zulässige Höchstdosis überschritten, doch laut Einigungsvertrag gelten im Osten noch die höheren DDR- Grenzwerte. Ähnlich ist die Situation im nahen Flaschenlager der Coschützer Bierbrauerei. Das Betriebsgelände ist Teil des Sanierungsprojektes; damit sollen unter Federführung der Kommune die 135 Hektar Wismut-Gelände revitalisiert und preiswert an die einheimische Industrie abgegeben werden.

Drei Ordner mit dem Sanierungskonzept stehen beim Dresdner Umweltamtsleiter Korndörfer im Regal — neben einem Brocken Freitaler Kohle. Am liebsten würde Korndörfer gar keine Journalisten mehr empfangen, nach den vielen Geschichten, mit denen die Boulevardpresse den DresdnerInnen eine „strahlende Zukunft“ vorausgesagt hat. „Alle konventionellen und radioaktiven Altlasten sind sehr sorgfältig erfaßt worden“, erklärt er. Eine bedenkliche Gamma-Strahlung und eine Gefährdung des Trinkwassers könne nicht festgestellt werden.

Kürzlich wurden in Coschütz und Gittersee Wohnungen auf Radon- Belastung untersucht und die Ergebnisse „in persönlichen Briefen“ den Betroffenen mitgeteilt. Über Details zu sprechen, verbiete der Datenschutz. „Umweltschutz heißt für uns nicht nur, heute etwas in Ordnung zu bringen“, stellt der Amtsleiter klar, „wir wollen die Ziele der Stadtentwicklung verbinden mit den Zielen der Wirtschaftsförderung und mit der Abwendung von Gefahren.“

Das Berggesetz der DDR gilt auch im Einigungsvertrag weiter, danach ist für die Rekultivierung von Wismut-Flächen, die vor 1962 von dem Betrieb zurückgegeben wurden, der „Staatshaushalt“ zur Kasse zu bitten. Die DresdnerInnen sehen auch gar nicht ein, daß sie an dieser Stelle „Stadthaushalt“ lesen sollen. „Das wäre völlig utopisch, so ein Vorhaben für die Stadt“, meint Korndörfer. Ein Sanierungsprojekt, das in diesem Umfang für die Bundesrepublik einmalig ist. „Der Bund muß das bezahlen.“ Im Zweifelsfalle könnte sich Korndörfer auch vorstellen, das Geld vom Land „abzubetteln“. Über die veranschlagte Summe schweigt er sich aus. Für die Sanierung der gesamten Wismut-Flächen waren vor zwei Jahren 10 Milliarden Mark ins Gespräch gebracht worden.

„Für die Leute hier ist die Wismut nicht mehr eines der dringenden Probleme“, meint der Coschützer Pfarrer Wilfried Weißflog. Im Frühjahr 1989 war vor allem er es, der fast den ganzen Stadtteil gegen einen SED- Politbürobeschluß auf die Beine brachte. Auf dem Gelände des „Willi Agatz“ sollte zum Wohle der Mikroelektronik ein Reinstsiliziumwerk entstehen. „Damals habe ich gemerkt, daß wir mehr als ein Häuflein der sieben Aufrechten sind“, erinnert sich der Pfarrer. Der Widerstand gegen das Werk war auch eine Probe für den Wende-Herbst.

Pfarrer Weisflog weiß von 1.260 Radon-Messungen in dieser Gegend. In einigen Wohnungen sollen erhebliche Belastungen festgestellt worden sein. „Aber insgesamt fielen die Ergebnisse besser aus als erwartet.“ Größte Sorge der Leute sei die Frage, ob sie wohl mit eigenem Geld für eine eventuelle Sanierung ihrer Häuser aufkommen müßten.