Vom Protest zur Prothese

■ Das Ende eines „politischen Theaterversuchs zwischen den Mauern Berlins“

Als die Salami erfunden wurde, muß der ungarische Bauer an die Berliner Kulturpolitik gedacht haben, der er ein frühes Denkmal schaffen wollte. Als die Treuhand mit der Abwicklung der DDR beauftragt wurde, muß ein Dicker an das Ausdünnen gedacht haben. In der Berliner Kultur wird ausgedünnt, abgewickelt, an neue Unternehmer vergesellschaftet; und wer A wie Abbado vorgegeben bekommt, muß auch B wie Barenboim sagen. Dabei weiß die Kultur-Treuhand weder, was die

linke treue Hand tut, noch gar, was die rechte veruntreut.

Ich betrauere einen, der kämpfen wollte wie ein Löwe und nun in die Räder gerät, die Ute Lemper überrollten. Ich wünsche jedem Kulturpolitiker die italienische, mafiotische Salami, und daß ihm der Leibhaftige erscheint, denn er ist der Racheengel. Ich räche mich nicht, denn ich müßte mich auch selbst verteufeln, weil ich bei diesem ganzen Zirkus mitgemacht habe. Warum wird ein/e Senator/in Hülse für ein Kulturprogramm, das es nur noch zu verwalten gilt, warum wird der Intendant zur Hülse? Allerdings ist der künstlerisch Arbeitende der schwächste Punkt im politischen Verteilungskampf. Wahrscheinlich stimmen der Schaubühnen-Direktor Schitthelm und der ehemalige Staatssekretär für Kultur die Berliner Kulturpolitik ab. Die Freie Volksbühne wurde vor Jahren von ihnen zum Tode verurteilt, sie hat etwas länger gelebt.

Beschreiben wir also die Provinz. Vor Tagen sagte ein Werbefachmann und Professor der Hochschule der Künste: Berlin aus seinem provinziellen Mief zu erlösen, würde etwa zwanzig Jahre dauern; denn erst dann hätte man die gewachsenen Strukturen der Vereine und Beamten zerschlagen. Politiker können das schneller schaffen. Und ich unterstelle ihnen, daß ihnen der Mief auch stinkt. Nur gibt es keine Konzepte. Die große Koalition (deshalb ist die Kultur bei Rot-Schwarz parteilos), würgt am Mief und sollte den Umweltsenator bestellen. Larmoyanz ist nicht angesagt; Fakten liegen auf den Tischen herum. Welches Theater wird als nächstes geschlossen? Der miese Besucherzustrom rechtfertigt Aussagen der Hotellerie, keine in der Kulturpolitik. Oder die Schließung wird eine allgemeine, und die Skateboard-Bahn ersetzt das Totem Goethe. Die Mies- van-der-Rohe-Nationalgalerie wäre schon immer als Eisbahn gut geeignet gewesen.

Die Freie Volksbühne war ein politischer Theaterversuch zwischen den Mauern Berlins. Von der ERMITTLUNG ins GHETTO. Sie war in ihren besten Teilen Protest gegen Staatstheatergehabe. Sie war unbeliebt. Das Volk will im Theater keinen Protest. Also wird diese Bühne amputiert. Zurück bleibt der leere Raum. Ein Freiraum, den es zu bevölkern gilt. Bevor eine neue Prothese angelegt wird.

Der konkrete Abbau der Freien Volksbühne fing mit dem Fall der Mauer an, da fielen viele. Ein Objekt, ein Filetstück der Berliner Kultur mußte freigeschossen werden. Mit den sattsam bekannten offiziellen Versicherungen, es würde alles so bleiben, aber eine andere Schlagzeile müsse her: Theater der Nationen. Davon ist längst keine Rede mehr. Die Künstler sind weggeschossen; und die das Haus funktionsfähig halten, wissen über den 31. 12. 1992 hinaus nicht, was wird. Ein Skandal.

Lieber Senator, zu ihrem Amtsantritt sagten Sie: Ich werde kämpfen wie ein Löwe. Gut gebrüllt, Löwe. Nun gilt es zu kämpfen. Hermann Treusch

Der Autor ist Intendant der Freien Volksbühne