Das Volk wählt seine Bühne ab

■ Die traditionsreiche Freie Volksbühne muß schließen. "Systematisch leergespielt" lautet die harte Kritik, der "geniale Mut" eines Hans Neuenfels kam beim Publikum nicht an. Der Berliner Senat muß sparen...

Das Volk wählt seine Bühne ab Die traditionsreiche Freie Volksbühne muß schließen. „Systematisch leergespielt“ lautet die harte Kritik, der „geniale Mut“ eines Hans Neuenfels kam beim Publikum nicht an. Der Berliner Senat muß sparen und bereitete dem Subventionssiechtum ein Ende.

Sicher ist das hybrid, was wir da gemacht haben: sechs Stunden Kleist“, sagt Barbara Morawiecz, Ensemblemitglied und Betriebsrätin der Freien Volksbühne, „aber irgendwo muß die Kultur doch Mut haben!“ Doch gerade der geniale Mut eines Hans Neuenfels hat die traditionsreiche Berliner Volksbühne zwischen 1986 und 1990 endgültig an den Rand des Ruins gebracht. „Systematisch leergespielt worden“ sei das große Haus an der Schaperstraße, meint der Pressesprecher des Kultursenators Klemke. Kunst müsse eben bezahlt werden, hält die mittlerweile gekündigte Betriebsrätin dagegen, „und sie muß auch mit einem Wahnsinn bezahlt werden!“

Aber gerade das kann sich Berlin schon lange nicht mehr leisten. Drei Opernhäuser, zwei Ballettensembles, zwei komplette Philharmonische Orchester, drei Musical- und Varietébühnen und unter anderem elf vollsubventionierte Schauspieltheater sind angesichts einer Kürzung des Kulturetats von 25 Millionen Mark nicht mehr finanzierbar. Und so fällt heute abend gegen Mitternacht der Vorhang der Freien Volksbühne Berlin zum endgültig letztenmal.

Im vergangenen Jahr mit 13,4 Mark Millionen subventioniert, hatte das Haus nur 26.486 zahlende Zuschauer. Das entspräche einer „Subventionierung von 505 Mark pro verkaufter Karte“, errechnete der Berliner Theaterkritiker Michael Merschmeier und ernannte die Freie Volksbühne Anfang des Jahres zum „teuersten und überflüssigsten Theater der Welt“. „Hat nun das Volk seine Bühne, oder die Bühne das Volk abgewählt?“ fragt sich Noch- Intendant Treusch resigniert. Zuletzt kamen trotz aller Anstrengungen fast nur noch Hiobsbotschaften aus dem Haus an der Schaperstraße, von dem Rolf Michaelis bereits 1974 sagte, es sei „zum Sterben zu rüstig, zum Leben zu mickrig“.

In ihren glücklicheren Anfangstagen war die am 30. April 1963 eröffnete Spielstätte des Vereins der Freien Volksbühne eines der preiswertesten und interessantesten Schauspieltheater der Stadt. Ihr Gründungsintendant Erwin Piscator machte die Volksbühne zur deutschen Heimstatt des dokumentarischen Theaters: Heiner Kippharts Oppenheimer, Rolf Hochhuts Stellvertreter und Peter Weiss' Ermittlung wurden an der Freien Volksbühne uraufgeführt. Später, während der Studentenrevolte, diskutierte das Ensemble über neue „kollektive Arbeitsweisen“. Verwirklicht wurden sie schließlich an der 1970 gegründeten Schaubühne. Namhafte Schauspieler wie Libgart Schwarz oder Otto Sander wechselten von der Volks- zur Schaubühne, der Ruf der Volksbühne geriet zusehends ins Schwanken, auch wenn Intendant Kurt Hübner trotz des schwerfälligen En-suite-Betriebes immer wieder Glanzlichter setzen konnte. Er machte möglich, was mit den knappen Mitteln möglich war, holte Rainer Werner Fassbinder, Roberto Ciulli, Luc Bondy, vor allem aber Peter Zadek an die Volksbühne, verpflichtete Eva Mattes, Irm Herrmann, Ulrich Wildgruber oder Günther Lamprecht.

Aber selbst mit Kabinettstücken wie Zadeks Ghetto-Inszenierung entfernte sich die Freie Volksbühne immer weiter von ihrer ursprünglichen Klientel, dem Volk. Spätestens das Theatergenie Hans Neuenfels, mit dem die Subventionsmillionen endlich reichlicher flossen, hatte mit dem Gründungsgedanken der Volksbühnenbewegung „Kunst für alle“ nichts mehr im Sinn. Der damalige Wunschkandidat des Senats zeigte seine Kunst vorzugsweise vor einem leeren Haus. Als er 1990, wiederum auf Drängen des Senats, gehen mußte, konnte das sinkende Schiff niemand mehr retten. Der riesige Zuschauerraum mit den knapp 1.200 Plätzen blieb nur spärlich besetzt. Allein die künstlerischen Mißerfolge blieben im Gedächtnis der Öffentlichkeit haften und kosteten jedesmal weitere Sympathien. Schließlich stieg der Senat aus dem Verwaltungsrat der Freien Volksbühne aus und nahm seine Subventionsmillionen mit.

Zurück blieben eine nicht liquide Volksbühnen GmbH, die ihrem Ensemble zum 31. Juli kündigen mußte, und ein Theaterverein, der zwar immer noch ein schönes Haus besitzt, aber bis heute kein rechtes Konzept hat, was man darin eigentlich spielen sollte. So sucht der Volksbühnenverein nun nach einem potenten Privatbetreiber. Ob Interessenten wie der Musicalmanager Rolf Deyhle die fast hundert technischen Angestellten übernehmen würden, sei eine „berechtigte, aber unbeantwortete Frage“ erklärt Barbara Morawiecz. Der Verein bemühe sich um einen Bewerber, der auch „ein bißchen in Schauspiel“ mache, so Verwaltungsdirektor Dünnwald.

Offenbar gibt es zur Zeit keine zündende Idee, wie ein so großes Haus wie die Berliner Volksbühne mit Theaterleben zu füllen wäre. Da die Berliner doch immer wieder den Musentempel Schaubühne vorziehen und die Politiker wegen Geldmangels unabänderlich beschlossen haben, Kultur einzusparen, ist es wohl unumgänglich, dem Subventionssiechtum der Freien Volksbühne ein Ende zu bereiten und auf bessere — sprich: theaterrelevantere — Zeiten zu warten. Bis dahin werden sich die Berliner wohl oder übel das Phantom der Oper leisten müssen. Klaudia Brunst