Ein bitteres Votum für Vaclav Havel

Der Anführer der „samtenen Revolution“ in der Tschechoslowakei wurde abgewählt  ■ Aus Prag Sabine Herre

In der Prager Föderalversammlung stieg die Spannung im Laufe des Wahltages. Noch am Freitag morgen hatte kaum einer daran gezweifelt hatte, daß Vaclav Havel nicht zum zweitenmal zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt werden würde. Am frühen Nachmittag waren sich die Abgeordenten des Bundesparlamentes — und auch die Schar der aus der ganzen Welt angereisten Journalisten — jedoch nicht mehr so sicher. Zwar hatte der Noch- Präsident im ersten Wahlgang tatsächlich nicht die erforderliche Dreifünftelmehrheit der Stimmen in allen drei Kammern des föderalen Parlamentes erreicht, doch entschied sich eine eindeutige Mehrheit dafür, nicht wie ursprünglich vorgesehen in zwei Wochen, sondern noch am gleichen Tag zu einer zweiten Abstimmung zu schreiten. In diesem zweiten Wahlgang war jedoch lediglich die einfache Mehrheit der 300 Parlamentsabgeordenten für die Wiederwahl Havels nötig, die Chancen des Präsidenten somit entschieden gestiegen.

Erneut steigerte sich die Spannung — und erster Beifall kam auf — als nicht nur die Mehrheit der Abgeordenten des tschechischen Teils der „Nationenkammer“, sondern auch 80 der 149 Abgeordenten der „Volkskammer“ für Havel votierten. Dann jedoch folgte die Ernüchterung: Im slowakischen Teil der Kammer der Nationen stimmten von 75 anwesenden Parlamentariern lediglich 18 für den Präsidenten.

Der frisch gekürte tschechische Premier Vaclav Klaus hatte die freitäglichen Spekulationen über die Chancen Havels noch aufgeheizt: „Eine Überraschung ist nicht ausgeschlossen“, so der bisherige tschechoslowakische Finanzminister. Da er als tschechischer Wahlsieger und Verhandlungspartner des Slowaken Vladmir Meciar jedoch am besten dessen Position kennt, konnte seine Andeutung nur heißen: Die Slowaken überdenken noch einmal ihre Absage an die Wiederwahl Havels.

Eine Vermutung für die es auch gute Gründe gab: Da Meciar nicht damit gerechnet hatte, daß Klaus kompromißlos auf eine „starke Föderation“ dringen würde, hätte er sich von dem — stets zu Vermittlungen bereiten — Havel Unterstützung für seine Forderung nach einer tschecho-slowakischen Konföderation erhoffen können.

Thema der Wahl-Spekulationen war auch die Haltung der Abgeordneten der exkommunistischen „Partei der demokratischen Linken“, die bei den Parlamentswahlen Anfang Juni zur zweitstärksten politischen Kraft in der Slowakei geworden war. Denn obwohl sie in den vergangenen Wochen mehrmals mit der Bewegung Meciars das politische Vorgehen in der Slowakei abstimmte, gilt sie vielen als Anhängerin der Föderation. Ihrem jungen, karrierebewußten Parteichef Peter Weiss wurde gar nachgesagt, daß er „als Linker“ die CSFR retten möchte.

Nun sind auch die Aussichten, das Auseinanderbrechen der CSFR durch eine Wahl Havels aufhalten zu können, nahezu gegenstandslos geworden. Nahezu, denn noch hat der amtierende Präsident eine Chance. Laut Verfassung darf er zwar an der innerhalb der nächsten zwei Wochen anstehenden Wahlwiederholung nicht teilnehmen, bei einer möglichen dritten „Runde“ kann er jedoch erneut kandidieren. Die Amtszeit des Präsidenten endet am 5. 0ktober, diskutiert wird aber, sie um ein Jahr, und damit bis zur endgültigen „Abwicklung“ der Auflösung der Tschechoslowakei, zu verlängern.