Produkthaftung im Auge

■ Ramin Yazdami inszenierte die iranische Parabel Auge um Auge von Ghorar Morad: Ein heftiges Zerren um das gefährdete Organ

von Ghorar Morad: Ein heftiges Zerren um das gefährdete Organ

Gleich hinter der schweren Pforte des Museums für Hamburgische Geschichte fängt der Orient an. Da steht der Palast des Gouverneurs, der eigentlich kein anderer ist als der Schah von Persien: Unter weißen Zeltbahnen schläft er den flachen Schlaf des Exponierten. Die Rolle des Hofnarren hat in seinem Palast längst der Henker eingenommen. Vor allem bedrückt den Gouverneur die Tatsache, daß er schon seit mehreren Tagen keine Gerechtigkeit mehr geübt hat.

Da kommt ihm ein junger Mann gerade recht, der in das Haus einer alten Frau eingedrungen war und sich nun darüber beklagt, daß ihm dabei mit einer Spindel das Auge ausgestochen wurde. Die Alte muß also her, damit das alte „Auge-um- Auge“-Prinzip aufgehen kann. Doch bis zum „Zahn-um-Zahn“ kommt es nicht, weil jetzt ein bunter Reigen gegenseitiger Beschuldigungen einsetzt: Die alte Spinnerin meint, daß der Krämer, der die Spindel verkauft hat, mit seinem Auge zahlen müßte. Der Krämer aber beschuldigt den Schmied, der die Spindel herstellte.

Für den Autor Ghorar Morad standen diese Verleumder für die verschiedenen Klassen. Mit dem Schmied wäre somit die Arbeiterklasse erreicht, der Boden des Fasses. Der Schmied kann sein Auge noch verteidigen, indem er dem Herrscher klar macht, wie abhängig er von seinen Erzeugnissen, den Hufeisen, Ketten und Gittern ist. Er weist auch gleich auf einen brauchbaren Ersatz-Organverlierer: Den Hofjägermeister, der beim Anvisieren das rechte Auge schließt und außerdem zur Klasse der Beamten gehört. Wie es dazu kommt, daß schließlich doch kein Beamter sein Auge lassen muß, sondern ein Künstler – und der gleich beide –, schildert die iranisch-deutsche Truppe um Regisseur und Darsteller Ramin Yazdani mit stark typisierender Mimik und professionell angelegten Zwischentönen in grell überzeichneten, grotesken Bildern und sicherlich sehr schönen Dialogen. Die sind allerdings alle in iranisch.

Die Erzählerin, die vor jeder Szene eine deutsche Zusammenfassung gibt, macht aus der Parabel ein böses Märchen um die Moral in einer diktatorischen Gesellschaft, um Rache, Feigheit und letztlich sogar auch um das moderne Problem der Produkthaftung. Ghorar Morad, der als einer der wichtigsten Dramatiker des Iran gilt, wurde wegen solch deutlichen Schilderungen nicht nur vom Schah, sondern auch von Khomeini verfolgt. 1985 flüchtete er in Khomeinis ehemaliges Exil Paris, wo er zwei Jahre später nach schweren Depressionen starb. Er wurde nur 50 Jahre alt. Das war vor genau fünf Jahren. Thomas Plaichinger

Foyer des Museums für Hamburgische Geschichte, noch heute, morgen und Montag, jeweils 20 Uhr