Nahverkehrsabgabe: Autofahrer sollen 'ran

■ Hamburgs Behörden prüfen derzeit fieberhaft, wie sie die AutofahrerInnen in Hamburg und um Hamburg herum zur Kasse bitten können. Noch gibt es große juristische, praktische und technische Fragezeichen.

Bürgermeister Henning Voscherau hat versprochen, noch in diesem Herbst ein Konzept zur Einführung einer Nahverkehrsabgabe vorzulegen. Hielte der Stadtchef diesmal ausnahmsweise Wort, dürften ihm die Glückwunschtelegramme Tausender von Kommunalpolitikern sicher sein. Allüberall fahnden Stadtpolitiker derzeit nämlich nach neuen, ergiebigen Einnahmequellen. Ein Griff in die Taschen der AutofahrerInnen scheint da, Autolobby hin, Autowahn her, derzeit politisch noch am ehesten durchsetzbar. Doch noch stehen bundesdeutsche Gesetze und die Finanzordnungen hinderlich im Weg. Das große Problem: Wie und wo soll und darf man zugreifen? So brütet Eugen Wagners Verkehrsbehörde derzeit über insgesamt sieben verschiedenen Modellen, die seine Vorgängerin Traute Müller hatte erarbeiten lassen.

Hauptsache, der Rubel rollt

Soll man Mautstellen am Stadtrand einführen, für die Einfahrt nach und den Autobesitz in Hamburg Vignetten verlangen, komplizierte elektronische Road-Pricing-Systeme installieren, von den Unternehmen eine Nahverkehrssteuer in Abhängigkeit von der Lohnsumme verlangen oder in Absprache mit den Nachbarländern eine als Abgabe getarnte Kopfsteuer in Höhe einer HVV-Jahreskarte einführen? Wieviel Geld soll man verlangen? Soll es zur Deckung bereits bestehender HVV-Defizite und damit letztendlich zur Haushaltssanierung dienen? Oder fließt tatsächlich die ganze Summe in eine Erweiterung und Verbilligung des öffentlichen Nahverkehrs?

Entschieden ist derzeit noch nichts. Externe Gutachter deklinieren das Steuer- und Abgabenrecht, die Justizbehörde und die Finanzbehörde beackern Finanzverfassung und Gebührentechnik, das Stadtverkehrsduo Voscherau/Wagner fragt sich, wie tief der Griff in die Autofahrertasche denn sein muß, damit es lohnt, und wie tief er höchstens sein darf, damit der Wahlerfolg 1995 nicht gefährdet wird. Während intern bereits der Oktober als möglicher Drucksachenmonat angepeilt wird, fragen sich Skeptiker, ob die Stadt am Ende überhaupt mit einer echten Nahverkehrsabgabe aufwarten wird.

Eine untaugliche Hilfskrücke

Denn, so meinen viele Experten, die Nahverkehrsabgabe ist eine untaugliche Hilfskrücke, mit der das gebrechliche deutsche Steuersystem an einem Punkt gestützt werden soll. Hintergund: Kein Meeting, kein Stammtisch, keine Tagung deutscher Stadtpolitiker vergeht, ohne daß die Rede aufs Geld kommt. Klar, es klingelt davon viel zu wenig in den Stadtkassen. Während unbestritten die kommunalen Aufgaben geradezu explodieren, von Sozialhilfe über Flüchtlingselend, Wohnungsnot und überfälligem ökologischen Umbau bis hin zum Verkehrsinfarkt, blicken die Stadtkämmerer in schwindelerregend gähnende Etatlöcher. Der Deutsche Städtetag, einst fröhliche Runde des kommunalen Föderalismus, verkümmerte zum Jammerchor, in welchem der Bariton von Stuttgarts CDU-Stadtchef Manfred Rommel die gleiche Melodie zum Besten gibt wie der fistelige Alt von Hamburgs SPD-Finanzsenator Wolfgang Curilla.

Experten und Kommunalpolitiker sind sich einig. Die deutsche Finanzverfassung befindet sich in einer gefährlichen Schieflage. Während Bonn dank Einheit seinen Anteil am Staatskuchen ständig ausweitet, verhungern Länder und Gemeinden am ausgestreckten Arm. Sie haben kaum eigene Steuerquellen, sind fast überall von Entscheidungen des Bundes abhängig und dann auch noch vielfach in komplizierte Mischfinanzierungssysteme eingebunden. Experten halten dies für außerordentlich gefährlich. Ziel müßte sein, so Hamburgs Zweiter Bürgermeister Hans-Jürgen Krupp, „daß endlich Einnahme- und Ausgabenverantwortung zusammenfallen.“ Auf deutsch: Wer einen Rechtsanspruch auf Kindergartenplatz beschließt, muß auch die entsprechenden Steuererhöhungen beschließen. Und umgekehrt: Wer wachsende Aufgaben hat, die er lösen will, zum Beispiel den Umbau des Stadtverkehrssystems, der muß dazu auch entsprechende Steuerquellen haben oder einführen dürfen.

Dies aber ist nicht heutige Gesetzeswirklichkeit. Und so befindet sich die Nahverkehrsabgabe in einer komplizierten Gemengelage juristischer Probleme, kommunaler Kassenlage, verkehrspolitischer Erfordernisse, ökologischer Steuerungsmöglichkeiten und politischer Rücksichtnahme auf die Autofahrerklientel. Möglich ist dennoch zunächst vieles.

Die Auswahl ist groß

Unternehmensbesteuerung:

In Paris müssen Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten seit Jahren 1,9 Prozent ihrer Lohnsumme an den ÖPNV abführen. Ein Modell, welches HVV-Direktor Martin Runkel vor einem Jahr auch für Hamburg anregte. Den Griff in die Unternehmertaschen lehnten in Hamburg Wirtschaft und Politik fast unisono ab. Begründung: Wettbewerbsverzerrung und die Verteuerung der Lohnnebenkosten seien in Hamburg unerwünscht.

Regionale Verkehrssteuer: Sie wäre nur in Zusammenarbeit mit dem Bund zu verwirklichen, stößt auf große verfassungsrechtliche Probleme und wird in Hamburg

1nicht ernsthaft geprüft.

Nahverkehrsabgabe:

Das deutsche Abgabenrecht bietet für die Fans einer echten regionalen Verkehrssteuer ein Schlupfloch. Bundesländer können nämlich durchaus eigene Abgaben erheben. Dafür gelten jedoch sehr enge Vorschriften. Die Abgabe muß von einer abgrenzbaren, einheitlichen Gruppe erhoben werden (z.B. AutobesitzerInnen), sie muß Gruppenverantwortung für bestimmte Sachverhalte benennen (Belastung durch Kfz-Verkehr), und die gruppennützige Verwendung (Autofahrer profitieren von leereren Straßen durch verbesserten ÖPNV) muß sichergestellt sein. Eine Kopfsteuer für Autos oder eine regionale Kfz-Steuer (nach Hubraum?) — und nichts anderes wäre eine solche Nahverkehrsabgabe — gilt allerdings als nicht sonderlich gerichtsfest. Autofreundliche Richter können sowohl die Einheitlichkeit der Gruppe (gehört ein Garagenauto in Neukloster dazu?), die zuordenbare Belastung (nur wer fährt, belastet) und die gruppennützige Verwendung bezweifeln. Erschwerend ist auch, daß hier Einigkeit mit den Nachbarländern hergestellt werden muß.

Maut- und Vignettensysteme:

Viel spricht dafür, daß sich Hamburg, wenn überhaupt, für ein derartiges System entscheiden wird. Es gibt es in der Waigel-Variante als Vignette (wer in Hamburg ein Auto hat oder von außen mit einem Auto reinwill, muß eine Vignette haben). Probleme sind hier die auswärtigen Besucher und der Transitverkehr, die quasi die Aufstellung

1mittelalterlicher Mauthäuschen an allen Stadteinfahrten erfordern würde — und sei es nur zum Verkauf der Vignetten. Größter Nachteil der Vignetten aber: Sie verschaffen der Stadt zwar Geld, lösen aber nicht die Verkehrsprobleme. Im Gegenteil. Ein Pendler, der ein paar 100 Mark für die Jahreskarte gelöhnt hat, wird an der Autobenutzung festhalten.

Elektronik total:

Verschiedene elektronische Systeme, von der Vignette à la Kaufhaus (es piepst, ist man ohne) bis zur funkgesteuerten Totalerfassung reicht das heutige technische Know-how. In der futuristischsten Variante ist Hamburg übersät mit einem Netz von elektronischen Funkbaken, die ein Gitternetz bilden und per Funk von intelligenten Chipkarten in jedem einzelnen Auto die Fahrtroute erfassen und, ähnlich der Telefonkarte, von dem Chip abbuchen. Ist die Karte leer, blinkt der Empfänger im Auto, die FahrerIn muß ihre Karte nachladen. Probleme hier sind die komplette Ausrüstung der Autos mit den Chips, der Verkauf der Chips, die kostspielige Installation eines Bakennetzes und des erforderlichen Überwachungssystems. Aufgemuckt gegen solche, technisch bereits serienreif entwickelten Systeme haben auch die Datenschützer. Jede einzelne Autofahrt wäre dann speicherbar. Für die Deutsche Bank und einen Gutteil der Verkehrswissenschaft gelten derartige „Road- Pricing-Systeme“ (Behördendeutsch: Straßenbenutzungsgebühren) jedoch als das Nonplusultra. In der Endstufe könnte in jedem

1Auto ein in die Windschutzscheibe gespiegelter Taxameter mitlaufen, der der AutofahrerIn die Verkehrskosten anzeigt. Die Preise wiederum könnten nach Autotyp (Abgase, Lärm), Tageszeit und Ort differenziert werden. Elektronische Verkehrsmarktwirtschaft total. Stockholm will seine BürgerInnen 1995 mit einem derartigen, freilich etwas abgespeckten System beglücken. Bislang wies Hamburg derartige Konzepte weit von sich. Hamburgs gewaltige Ausdehnung macht die Investitionen extrem teuer, die Bürger sind hier ausgesprochen sensibel in Sachen Datenschutz.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Vielleicht ist am Ende dem Hamburger Senat das ganze Ding denn doch zu komplex. Voscherau deutete schon an, wie er sich eine gesichtswahrende Lösung vorstellen könnte: Für die Innenstadt innerhalb des Wallrings gibt es, mit genügend Ausnahmen für die Geschäftswelt, eine tageszeitabhängige Mini-Maut. Die könnte man sogar in einer Schlichtversion der Chip- Karte einführen. Vorteil: Hamburg könnte sich moderner Elektronik und fortschrittlicher Verkehrspolitik rühmen. Nachteil: Das würde weder Geld bringen noch irgendein Verkehrsproblem lösen. Das aber, so meinen Spötter, sei ja sowieso der Grundzug Voscherauscher Politik. Die Nahverkehrsabgabe — ein echter Voscherau? Im Rathaus winkt man ab. Nein, so heißt es: In diesem Herbst wird wirklich Politik gemacht. Florian Marten