: Wasserkopf statt Behindertenbetreuung
Leitung der Stiftung Alsterdorf will nicht zurücktreten / Mitarbeiter kritisieren ■ schwere Mängel in den Wohngruppen
Vorstand und Stiftungsrat der Evangelischen Stiftung Alsterdorf wollen nicht zurücktreten. Die Mitarbeiterversammlung hatte am Mittwoch den Rücktritt der gesam-
1ten Führungsriege gefordert, wirft ihr „Selbstbedienungsmentalität“, überzogene Gehaltsvorstellungen und zudem schwere Versäumnisse in der Behindertenarbeit vor.
1Für einen Rücktritt sähen sie keinen Anlaß, erklärten Vorstand Peter Buschmann und Stiftungsrat Peter Schmidt am Freitag. Keine Auskunft gibt es vom Vorstandsvorsitzenden. Pastor Rudi Mondry ist Anfang der Woche verreist, wenige Tage nach den ersten Schlagzeilen über den Skandal in Alsterdorf. Dagegen meldete sich Hamburgs Diakoniechef Stephan Reimers zu Wort. Seit kurzem Mitglied von Stiftungsrat und Finanzausschuß, räumte er ein, daß die Vorwürfe der Mitarbeiter teilweise berechtigt sind. Der Stiftungsrat müsse dringend zusammenkommen, bedauerlich sei deshalb der Urlaub von Pastor Mondry.
Die MitarbeiterInnen protestieren nicht nur gegen das angestrebte „Gehaltsniveau von bis zu 275000 Mark“ ihrer Spitzenmanager, sondern kritisieren auch gravierende Mißstände in der Behindertenhilfe. Seit Jahren habe die Belegschaft auf fehlende Grundversorgung und unzureichende pädagogische Betreuung hingewiesen, so Vera Niazi- Shahabi, die Vorsitzende der Mitarbeiterversammlung. Die Stiftungsleitung habe nie darauf reagiert.
Dabei sei das erklärte Vorhaben der ehemaligen „Alsterdorfer Anstalten“, Behinderte nicht mehr im Heim, sondern in kleinen Wohngruppen unterzubringen, „eine tolle Idee“, wie einer der Erzieher sagt. Aber in fast allen Wohngruppen mangele es an Personal, so daß die Behinderten manchmal wochenlang nicht vor die Tür kämen. Auch in der Rothestraße in Ottensen, dem Vorzeige-Wohnprojekt der Stiftung, wo im Oktober drei Wohngruppen von je sechs Behinderten in einen Neubau einzogen. Oft könnten sie ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen, erzählt eine der MitarbeiterInnen, weil nur zwei BetreuerInnen für die drei getrennten Wohnungen da sind. Wenn dann noch eine Bewohnerin zum Arzt begleitet werden muß, bleiben die übrigen sich selbst überlassen. Da passiert es schon mal, daß jemand wegläuft und später hilflos und verwirrt auf der Straße steht.
Aber in der Rothestraße herrschen paradiesische Zustände, verglichen mit einigen Wohngruppen in Alsterdorf. Dort müssen die Heimbewohner manchmal zwei Tage im Bett bleiben, weil niemand da ist, der ihnen beim Anziehen oder Waschen helfen kann, berichtet eine Erzieherin. Die Herren vom Vorstand seien weit weg von der Realität. „Sie sitzen an ihren Computern und rechnen.“ „Statt Leute einzustellen, wird immer mehr Verwaltung angestellt, das Geld fließt in den Wasserkopf.“ Vera Stadie
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