Laberbude contra Abstimmungsmaschine

■ Ende eines Vorurteils: Bürgerschaft befaßt sich nicht mit zuviel Kleinkram / Untersuchung zur Parlamentsreform

/ Untersuchung zur Parlamentsreform

Der Vorurteile gibt es viele. In der Bürgerschaft wird zuviel gelabert, ist eines der volkstümlichsten. Sie fungiert zu oft als bloße Abstimmungsmaschine, es wird zu

1wenig debattiert, setzt manch Parlamentarismuskritiker dagegen. Und die Abgeordneten? Sie behaupten fast unisono, daß die Bürgerschaft verfassungsmäßig dazu gezwungen ist, sich mit zuviel Kleinkram zu befassen, und fühlen sich deshalb überlastet. Eine Untersuchung der Uni Hamburg, in Auftrag gegeben von der Enquete-Kommission zur Parlamentsreform, versucht sich an des Rätsels Lösung, gestern wurde sie vorgestellt.

Das Vorurteil, mit dem die vom Politikwissenschaftler Peter Raschke angestellte Untersuchung völlig aufräumt, ist das der Parlamentarier. Der Kleinkram beschäftigt das Parlament nur zu einem recht geringen Anteil. Nur zehn Prozent waren es im Untersuchungszeitraum, der 13. Legislaturperiode (Juni 1987 bis Mai 1991). Für Raschke ein Hinweis darauf, daß sich faktisch schon „eine Arbeitsteilung zwischen Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen ergeben“ hat. Statt „Kleinkram in die Bezirke“, hat Raschke einen anderen Tip für die Parlamentarier: Privatisierung oder Dezentralisierung der Landesbetriebe und öffentlichen Unternehmen. Der zuständige Ausschuß nimmt inzwischen fast ebenso viel Zeit in Anspruch wie der Haushaltsausschuß.

Eine andere Möglichkeit: Die Parlamentarier wenden weniger Zeit für Dinge auf, die eigentlich gar nicht zur Entscheidung anstehen. Fast die Hälfte der Redezeit im Parlament diene „primär der Information, Positionsbestimmung und der Selbstverständigung“. Punkt für das Laber-Vorurteil. Demgegenüber steht allerdings ein anderes Phänomen. Über die Hälfte der zur Entscheidung anstehenden Anträge wird ohne jede Debatte abgestimmt, was nach Raschke „zumindest nicht die Entscheidungstransparenz erhöht“. Punkt für diejenigen, die im Parlament eine Abstimmungsmaschine sehen.

Um beide Vorurteile künftig entkräften zu können, setzt Raschke auf eine Professionalisierung des Parlaments, damit mehr Zeit für die Debatte anstehender Entscheidungen bleibt, die Parlamentarier andererseits nicht darauf verzichten müssen, ihre eigene Position zu gesellschaftspolitischen Themen darzulegen.

Und wer redet nun am meisten im Parlament? Die Auswertung der 13. Legislaturperiode sieht den damaligen FDP-Fraktionschef Frank- Michael Wiegand an der Spitze, der 24 der 600 Debattenstunden beanspruchte. Ihm folgen sieben VertreterInnen der kleinen Oppositionsparteien GAL und der FDP. An Position neun der erste SPD-Politiker: Eugen Wagner, der die Abgeordneten seiner Partei glatt übertraf. Uli Exner