Bloß nicht zu gut

■ Wer wird Generalmusikdirektor und Opernchef? Gar Chefin? Vier Antworten

Seit Marcello Viotti endgültig entflattert ist, vertickt kostbare Zeit. Bis November sollte entschieden sein, wer ihm im Amte des Generalmusikdirektors nachfolgt. Weil die Persönlichkeit zugleich dem Theater als Opernchef dienen soll, ist die Suche nicht leicht; es sind aber schon patente Leute ausfindig gemacht.

Vorgestern dirigierte der erste Kandidat im Rathaussaal vor gespitzten Ohren: Unter Philippe Auguin musizierte unser Staatsorchester jugendfrisch wie schon lang nicht mehr; und kein einziger Huster störte den Genuß. Umso eindringlicher erklang an der leisesten Stelle von Mozrats Klarinettenkonzert die Straßenbahn Numero Drei Richtung Gröpelingen. Auguin (31), nebenher übrigens ein begnadeter Chanson- Sänger, hat als Assi von Karajan und Sir Georg Solti angefangen. Im vergangenen Jahr wurde er Erster Kapellmeister am Stuttgarter Staatstheater. Er gilt als Wagner- Fan, was unser Orchester mit einer gewissen diebischen Vorfreude erfüllt: Um die bei Sir Wagner üblichen großen Besetzungen spielen zu können, müßte Auguin sich für die schon lange abgängigen Orchesterstellen ins Getümmel werfen.

Neben dem Düsseldorfer Walter E. Gugerbauer, einem ausgesprochenen Opernliebhaber, dessen Chancen noch recht schwer abzuschätzen sind, war anfangs auch Alicja Mounk, eine Frau mit Hang zur zeitgenössischen Musik, im Gespräch. Mounk wirkt derzeit als erste deutsche Generalmusikdirektorin am Ulmer Theater, allwo sie sich allerdings als schwierig im Umgang mit Musikern und Regisseuren erwies.

Als Favoritin wird die geborene Australierin Simone Young (31) angesehen. Auch sie ist der Musik der Gegenwart nicht abhold. Und seit sie 1988 einmal für den erkrankten Kölner GMD James Conlon einspringen mußte und Dmitrij Schostakowitschens Lady Macbeth von Mszensk, eine Oper für größte Besetzung, bravourös über den Graben brachte, ist sie so etwas wie ein offener Geheimtip. 1987 war sie als vollkommen unbekannte Pianistin nach Köln gekommen, schon 91 aber engagierte die dortige Oper sie als Kapellmeisterin. Derzeit dirigiert Simone Young gar bei den Bayreuther Festspielen.

Es ist aber durchaus noch nichts entschieden. Soeben war zum Beispiel der fliegende Kulturstaatsrat Schwandner im fernen London, um dort den jungen Dirigenten Michael Lloyd in Augenschein zu nehmen. Von ein, zwei weiteren und noch extrageheimen Kandidaten wird gemunkelt. Jedenfalls müssen jetzt alle der Reihe nach mit dem Staatsorchester auftreten, daran wird man sie erkennen; und dann entscheidet die Findungskommission, in welcher die Kulturbehörde, die Philharmonische Gesellschaft als Betreiberin des Orchesters und der Intendant Heyme einvernehmlich walten.

Die größte Mißgeschick wäre leider, daß der oder die Neue zu gut und also gleich wieder dahin ist: Allein der entwichene Viotti müßte in seiner letzten Spielzeit unvorstellbare 70 Abende dirigieren, um den Rückstand zu seinen vertraglichen Verpflichtungen aufzuholen. schak