Tanzen ist besser als Reden

■ Die gemeinsame Initiative von Hebbel-Theater und Tanzwerkstatt »Tanz im August« geht morgen zu Ende

Gestern abend hob sich im Hebbel-Theater das letzte Mal der Vorhang für eine Aufführung innerhalb der Reihe »Tanz im August«. Betrachtet man die verschiedenen Aufführungen im Hebbel-Theater, so läßt sich rückblickend sagen, daß »Kaalon Kaakon«, von Cesc Gelabert und Lydia Azzopardi gemeinsam mit spanischen und Berliner Tänzern getanzt, der Höhepunkt war und dementsprechende Erwartungen erfüllte. Was diese Aufführung von allen anderen vor allem unterschied, war die Tatsache, daß auf der Bühne tatsächlich getanzt wurde. Und dieser Umstand ist, auch wenn es absurd erscheint, innerhalb der modernen Tanzszene nicht selbstverständlich. Denn Tanz hat sich inzwischen zu einer Bewegungsform entwickelt, deren Grenzen fließend sind und andere Darstellungsformen mit bedienen. Um so aufregender war es, die Darstellung des Pandora-Mythos in Tänzen zu erleben, deren musikalische Grundlage aus verschiedenen Kulturen stammte und sich zu einem Ganzen formte. Die vollkommen schwarze Bühne, reduziert bis auf die kahlen Brandmauern, verwandelte sich durch eine faszinierende Lichtdramaturgie in die unterschiedlichsten Räume. Die Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen waren von einer ungeheuren Explosivität, die trotzdem immer in einer strengen ästhetischen Form blieb. In organisatorischer Hinsicht war dieses Projekt ein wichtiger Schritt, den Berliner Tanz in internationale Koproduktionen einzubeziehen. Durch den dreimonatigen Gastaufenthalt von Cesc Gelabert innerhalb des Künstlerprogramms des DAAD konnte die Zusammenarbeit zwischen spanischen und deutschen Tänzern erst ermöglicht werden. Es ist zu wünschen, daß solche Initiativen weitergeführt werden — und daß sich Geldgeber dafür finden.

In der Aufführung »No Respite« des Londoner Dance-Quorum in der Choreographie von Yolande Snaith stand eine Dreierbeziehung im Mittelpunkt, in der sich das Verhältnis der Beteiligten zueinander ständig ändert und aufgrund wechselnder Konstellationen immer wieder neu bewältigt werden muß. In ritualisierten Bewegungsabläufen pendeln die drei TänzerInnen zwischen einem schrägen Stuhl und einem Spieltisch hin und her. Filmmusik der vierziger Jahre wechselt zu schlagenden aggressiven Rhythmen; aus harmlosem Miteinander-Spielen wird Gewalt. Die Aufführung ist mir als laut und grob in Erinnerung geblieben. Interessante Bewegungsformen, fast artistisch ausgeführt, wurden nicht durchgehalten. Sie führten bald zu Langeweile.

Die Gruppe Castafiore aus Paris zeigte in einem zweiteiligen Abend die Wirkung einer immer technisierteren Umwelt auf den Menschen. Was im ersten Teil noch ungeheuer komisch dargestellt wurde und sehr erfrischend auf das Publikum wirkte, verlor sich nach der Pause in bloßen Illustrationen des über Ton eingespielten Textes, der zudem von vielen Zuschauern nicht verstanden wurde. Was da zu sehen war, hatte mit Tanz nur noch wenig zu tun und wirkte eher wie ein auf die Bühne transformierter Trickfilm.

Der zweite entscheidende Ort für Begegnungen, Austausch und Zusammenarbeit innerhalb der Tanzwerkstatt, die den anderen Teil der jedes Jahr stattfindenden Initiative ausmacht, war das Tacheles in der Oranienburger Straße. In einer Fotoausstellung waren Bilder von Räumen und Gebäuden zu sehen, an denen in Berlin getanzt wird. Das Spektrum reichte von den verschiedenen Opernhäusern bis hin zu Clärchens Ballhaus oder der Yucca-Bar, einer Schickimicki-Kneipe im Prenzlauer Berg. Unzureichend war allerdings die Beschriftung der Bilder von Tania Hertling und Andreas Rost; ich hätte mir Informationen zu den einzelnen Gebäuden gewünscht. Die Yucca-Bar zum Beispiel war früher ein von Stasi durchsetzter Ort, wo das Tanzen vor allem dazu diente, Informationen auszutauschen.

Im Theatersaal des Tacheles gab es außerdem eine Veranstaltung, in der verschiedene Choreographen ihre Arbeitsweise mit dem Körper erläuterten. Sinnfällig und mit viel Witz und Humor geschah das durch den Prager Choreographen Pavel Smok. Das kurze Stück für zwei Tänzer, das den Kampf des Gewissens mit dem Piloten, der die Hiroshima- Bombe abwarf, zum Thema hatte, gehörte für mich zu den beeindruckendsten Darbietungen in den letzten drei Wochen.

Klaus Arbomeit stellte nach einem fünftägigen Workshop, der sich mit verbindenden Darstellungsformen von Sängern und Tänzern und Puppenspielern und Tänzern beschäftigte, seine Arbeitsergebnisse vor. Diese blieben naturgemäß unfertig und konnten die Intensität der geleisteten Arbeit nicht spiegeln.

Daß es viel schwieriger ist, über Tanz zu reden, als ihn anzuschauen, wurde in der abschließenden Diskussion am Donnerstag abend deutlich. Choreographen aus Ost und West und der FAZ-Tanzkritiker Jochen Schmidt waren zusammengekommen, um politische und soziale Aspekte des Tanzes zu beleuchten. Einmal mehr war zu beobachten, wie sehr die unterschiedlichen Sehweisen und verschiedenen Entwicklungen von Tänzern ein gemeinsames Gespräch erschweren. Im Publikum wurden dann auch bald Unmutsäußerungen über den Nutzen solcher Podiumsgespräche laut. Programmatisches Ziel des »Tanzes im August« sollte es ja sein, den sozialen Schwerpunkt in diesem Jahr besonders in den Vordergrund zu stellen. Mit ziemlicher Sicherheit wird es aber auch im Bereich der modernen Tanzszene nur über gemeinsame Arbeit möglich sein, zu einem produktiven Austausch von Ost und West vorzustoßen und begriffliche Unterschiede zu beseitigen. Möglicherweise wäre das ein Ansatz für die konzeptionellen Gedanken des kommenden Jahres. Sibylle Burkert