ualifizieren für die Arbeitslosigkeit

Im Osten Deutschlands blüht das Geschäft mit der Weiterbildung. Westliche Umschulungsmissionare toben sich mit vermeintlichen Patentrezepten an den neuen Bundesbürgern aus. Inzwischen reift mehr und mehr die Erkenntnis, daß die DDR kein bildungspolitisches Entwicklungsland war. Von KLAUS ULRICH EBMEYER

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an lernt nicht aus, ein Leben lang. Diesen Spruch hat wohl jeder von uns schon hundertmal gehört, aber nur langsam hat sich diese Weisheit durchgesetzt. Erst unter dem zunehmenden Wettbewerbsdruck in den siebziger und achtziger Jahren, als die Arbeitsplätze „intelligenter“ wurden, haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber begriffen, daß neue Maschinen wenig nutzen, wenn das Personal sie nicht bedienen kann. Inzwischen ist die Bereitschaft, sich weiterzubilden, angestiegen: Mittlerweile nimmt jeder dritte Bundesbürger (West) an Weiterbildungslehrgängen teil.

Täglich machen sich 700.000 Qualifizierungshungrige für die Marktwirtschaft fit

In den neuen Ländern mußte die Weiterbildungsbereitschaft nicht erst angekurbelt werden. Berufliche Weiterbildung war in der ehemaligen DDR kein Fremdwort. Durch neue westliche Technologien und neue Anforderungen der Marktwirtschaft sind die Erwartungen an die Weiterbildung in den letzten zwei Jahren sogar noch gewachsen. Die Folgen sind nicht zu übersehen: das Geschäft mit der Weiterbildung blüht. Wer die Nase im Wind hat, predigt Marktwirtschaft und praktiziert sie. Die von Politikern und Managern beschworene Weiterbildungsoffensive läuft auf vollen Touren und beweist, daß auch ohne Plan ein gewaltiges Soll — zumindest das Umsatz-Soll erfüllt wird. Jeden Tag sind 30.000 Dozenten in 30.000 Lehrveranstaltungen im Einsatz; mehr als 700.000 Teilnehmer üben sich in dem, was ihnen als Schlüssel zur Marktwirtschaft immer wieder gepriesen wird.

Umschulung und Fortbildung stehen hoch im Kurs, nicht zuletzt bei den Veranstaltern. Das Arbeitsförderungsgesetz macht es möglich. 800.000 Teilnehmer haben 1991 eine Weiterbildungsmaßnahme in Anspruch genommen. Über eine Million werden es in diesem Jahr sein, wenn die Subventionen der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit weiter fließen wie bisher. Der Zweck rechtfertigt die Mittel; nicht die Begeisterung, nicht der Markt nährt den Boom, sondern die Arbeitsmarktpolitik.

Weiterbildung entlastet den Arbeitsmarkt und die Arbeitslosenstatistik

Die Weiterbildungsoffensive steht unter politischen Vorgaben — Weiterbildung ist die Alternative zur Arbeit, ein soziales „Zwischenlager“. Weiterbildung entlastet den Arbeitsmarkt und die Arbeitslosenstatistik — um mehr als eine halbe Million, wie die Nürnberger Bundesanstalt zu ihrer letzten Bilanz anmerkt. Das Stichwort heißt „Warteschleife“.

In der Warteschleife ist der Bezug zum Arbeitsplatz nicht mehr entscheidend, die Inhalte der Weiterbildungsangebote werden immer beliebiger. Soll Ausbildung, sollen Fortbildung und Umschulung auf die Zukunft, auf die konkreten Erfordernisse des Berufs gerichtet sein, muß die „Offensive“ weitgehend als eine Fehlinvestition von erheblichem Ausmaß mit schwerwiegenden Folgen abgeschrieben werden.

Die Alternative zum Plan ist der Markt, nicht die Planlosigkeit. Wo der Markt sich noch nicht entfalten kann, ist öffentliche Hilfestellung nötig. Aber mit dem Motto, irgendeine Fortbildung ist besser als keine, wird die Hilfestellung in ihr Gegenteil verkehrt. Die zu hohen Subventionen aus dem Westen und fehlende Konzepte für die neuen Bundesländer geben dem Markt keine Chance. Sie verstellen den Zugang zu den Qualifikationen, Abschlüssen und Berechtigungen, die Teilnehmer und Arbeitsmarkt erwarten. Manche Teilnehmer von Weiterbildungslehrgängen haben am Ende sogar schlechtere Karten als zuvor, weil sie durch ihr Zertifikat dequalifiziert werden. Was Kritiker als bloße Beschäftigungstherapie umschreiben, bringen immer mehr Teilnehmer auf die nüchterne Formel von der Weiterbildung, die zur Arbeitslosigkeit qualifiziere. Resignation breitet sich aus.

Die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit zieht jetzt daraus die Konsequenz und schwenkt auf einen langsameren Weg um. Der Sparkurs der Bundesregierung hat dieses Umdenken beschleunigt. Die neue Losung heißt: mehr Qualität, weniger Quantität.

Bundesbildungsminister Ortleb fordert Verbraucherschutz für die Weiterbildung

Viele Verantwortliche für den Aufschwung Ost kommen langsam zu der Erkenntnis, daß die Probleme der Weiterbildung Ost nicht mit den Instrumenten der Weiterbildung West zu lösen sind. Galt es in der alten Bundesrepublik vornehmlich, die Wiedereingliederung bestimmter Zielgruppen in ein funktionierendes Wirtschaftssystem zu fördern, sind die Aufgaben und Voraussetzungen in den neuen Ländern unvergleichlich größer und vielschichtiger.

Dies beginnt bei den Vorkenntnissen der ostdeutschen Teilnehmer. Nur mühsam setzt sich bei den westdeutschen Bildungshaien die Einsicht durch, daß die DDR kein bildungspolitisches Entwicklungsland war. Deutschen Bildungseifer hat es nicht nur in der alten Bundesrepublik gegeben, auch unter Hammer und Sichel auf rotem Grund sind berufliche Fähigkeiten trainiert, Wissen und Kenntnisse vermittelt worden. Was die Umschulungsmissionare aus dem Westen in ihrer Weiterbildungswut nicht stört. Sie ignorieren berufliche Kenntnisse und Erfahrungen der Ostdeutschen genauso wie die öffentlichen Arbeitgeber, die qualifizierte Krankenschwestern Ost zu Berufsanfängern West herabstufen.

Es geht nicht um fehlendes Können und fehlende Berufserfahrung. Die Einarbeitung in neue Aufgaben bringt keine unüberbrückbaren Schwierigkeiten mit sich, wie westdeutsche Unternehmer es in letzter Zeit selbst erleben. Die Probleme liegen vielmehr im Umgang mit dem neuen, fremden System West unter den Bedingungen und Erfahrungen der Situation Ost. Es geht um die Kluft zwischen Verhaltensformen und sozialen Techniken, die sich in der alten Bundesrepublik schrittweise in vier Jahrzehnten herauskristallisiert haben, und die grundlegend andere Rolle von Betrieb, Arbeit und Beruf in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.

Doch die Gefahr ist noch virulent, daß die Weiterbildungsoffensive Ost an Defiziten West scheitert, an den vermeintlichen Patentrezepten und Fehldiagnosen. Der Schaden wäre verhängnisvoll, nicht nur finanziell. Millionen Erwerbstätige sehen in der beruflichen Weiterbildung die große Chance, ihren Arbeitsplatz zu sichern oder überhaupt einen zu finden. Deshalb sind neue Weiterbildungsstrukturen gefragt. In der Verantwortung stehen dabei vor allem die Betriebe. Sie müssen erkennen, daß Investitionen in die Weiterbildung den gleichen Stellenwert haben wie andere Investitionen. Vor Ort, im Betrieb, ist die beste Gelegenheit, die Erwartungen der Arbeitnehmer zu erfüllen und ihnen neue berufliche Aussichten zu eröffnen. Das liegt nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer, sondern genauso im Eigeninteresse der Wirtschaft, rechtzeitig Vorsorge zu treffen für den großen Bedarf an Qualifikationen, damit nicht der Mangel an Fachkräften zum Produktionshemmnis wird.

Bundesbildungsminister Rainer Ortleb, der aus eigener Rostocker Erfahrung weiß, wovon er spricht, hat vor Fehlentwicklungen wiederholt gewarnt und inzwischen ein Team von ostdeutschen Experten daran gesetzt, neue Wege und Ziele für die Weiterbildung in Ostdeutschland zu finden. Der Minister, zuständig für Modelle der beruflichen Weiterbildung, aber nicht für die Praxis des Arbeitsförderungsgesetzes, hat ihnen vorsorglich ein Thema mit auf den Weg gegeben, dem schnell eine ganz entscheidende Bedeutung zukommen kann: Unter dem Stichwort „Schadensbegrenzung“ basteln seine Experten an der Entwicklung des Verbraucherschutzes für die Weiterbildung.

Dr. Klaus Ulrich Ebmeyer ist Journalist und zur Zeit Projektleiter für Öffentlichkeitsarbeit bei der Arbeitsgemeinschaft QUEM (Qualifizierungs-Entwicklungs- Management) in Berlin.