Ritualmord an Frau und Töchtern

■ Prozeß gegen einen Mann, der vor 22 Jahren im Wahn den größten Teil seiner Familie "opferte"

den größten Teil seiner Familie »opferte«

Mit einem grauenhaften Fall befaßt sich seit gestern des Hamburger Landgericht: einem religiös motivierten Ritualmord. Auf der Anklagebank der heute 61jährige Harald A., der 1970 zusammen mit seinem 17jährigen Sohn im Wahnzustand seine Ehefrau sowie seine beiden 15 und 18 Jahre alten Töchter auf Teneriffa erschlagen und die Leichen anschließend zerstückelt hatte, um sie Gott zu opfern.

„Ich bekenne mich zur Tat“, so der Maurer gestern zu Beginn des Prozesses, der weiter zugab, auch heute noch unter Psychosen zu leiden. A. erinnerte sich, Mitte der 60er Jahre auf der Suche nach dem „Sinn des Lebens“ ein Buch von einem Sektenprediger namens Georg Riehle gelesen zu haben, das ihn fasziniert habe. Bei einem persönlichen Gespräch empfahl der 89jährige Prediger dem glücklichen Familienvater, „jeden sexuellen Verkehr“ zu Frauen einzustellen: „Es war ein Wahnsinn, was dieser Mann von mir verlangte. Es war aber wie ein Gesetz.“

1970 zog die Familie nach Teneriffa, um sich dort ein Haus zu bauen. „Mein Sohn, meine Frau und ich wurden krank“, so A. — sie litten unter Depressionen. Und am Vormittag des 16. Dezember 1970 passierte dann die Grauenstat: „Frank rief mich, 'Papi hilf mir, Mutter ist besessen.'“ Sohn und Vater schlugen mit Kleiderbügeln die 41jährige bewußtlos. Dann gingen sie ins Nebenzimmer und prügelten die beiden Mädchen, bis sie ebenfalls zusammenbrachen. Anschließend verstümmelten sie die drei Frauen, besessen von der Vorstellung, sie zu opfern, und schnitten ihnen die Herzen heraus.

Das spanische Landgericht von Teneriffa sprach Vater und Sohn vom Mordvorwurf frei, weil die Tat im Wahnzustand „schizophrener Psychosen“ verübt worden sei. Beide wurden in sozialtherapeutische Gefängnisse eingeliefert, verbrachten 20 Jahre in spanischen Anstalten. 1990 wurden sie als geheilt entlassen, lebten kurze Zeit auf freiem Fuß in Frankfurt, bis sie erneut verhaftet wurden. Denn nach hiesigem Strafrecht kann ein Deutscher trotz Verurteilung in einem anderen Land wegen desselben Deliktes nochmals zur Verantwortung gezogen werden.

In dem gestern begonnenen Prozeß — der heute 39jährige Sohn muß sich vor dem Jugendgericht verantworten — geht es aber vor allem um die Frage, ob Harald A. weiterhin in der geschlossenen Anstalt Ochsenzoll leben muß oder in ambulante Behandlung entlassen werden kann. Der Angeklagte: „Mein einziger Wunsch ist, nicht hinter verschlossenen Türen sitzen zu müssen.“ Kai von Appen