»Pankow Spitze« bröckelt

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrig läßt (Teil 19): Der Keil zwischen Prenzlauer Promenade und Gustaf-Adolf-Straße braucht eine bauliche Bastion

»Pankow Spitze« ist stumpf. Der Keil zwischen Prenzlauer Promenade und Gustav-Adolf-Straße am Schnittpunkt zweier Bezirke hat keinen festen Punkt mehr auf dem Stadtplan. Von der Terrasse des Cafés »Brotfabrik« zieht es den Blick auf ein abgeräumtes Feld, über das PKWs, Laster und Straßenbahnen mit zerstörerischer Lust donnern.

Es ist alles erlaubt, weil alles kaputt: Ein plasteverkleideter Verkehrspavillon für die Ausgabe von Fahrkarten hält sich mitten auf der Kreuzung: »Hier kein Verkauf mehr!« Gegenüber die Ruine der ehemaligen Minol-Tankstelle mit Trabi-Wracks im Hinterhof schließt sich an: »Werte Kunden. Ab Dezember stellen wir den Betrieb ein«, steht auf einem abgefetzten Karton. Die Verrückten auf der Ostseestraße tanken jetzt »Super-Plus« und aalen sich am Anblick der Auflösung. Die Lust am Zerstörten einer vergangenen Dingwelt wird zum idiotischen Genuß.

Der Flüchtigkeit auf dem Straßenkreuz entspricht die Bebauung: Das abgeschnittene Haus, in dem das Kunst- und Kulturzentrum »Brotfabrik« mit Theater, Galerie und Kino wirtschaftet, hat vor der Brandmauer ein Klohäuschen stehen. Ein paar Würstchenbuden flankieren nun den häßlichen und leeren Platz, in dessen Mitte die alte Kastanie wie Grabschmuck trauert. Die Wohnhäuser an der Heinersdorfer Straße, die alte Halle »Postillon« und ein, zwei zugige Läden und Bistros erscheinen als Kulissen für den Kaffeeausschank und Umtrunk.

Relikte aus der Zeit einer Seßhaftigkeit finden sich dennoch. Der Handwerksbetrieb im Hinterhof, der Produktions- und Gewerbestandort bröckeln hinter der einstigen Spitze. Das »Rio« flimmert noch. Wohnbauten halten sich vereinzelt. Der Platz und seine Funktion lassen sich denken. Die ruhige Stichstraße ist dem Verkehr und der lauten Bewegung entzogen — fast dörflich gibt sie sich, mit der Stille eines Zimmers.

Nicht allein die geweitete Straßenkreuzung entschärft die Spitze, es ist der Sog, der in die Prenzlauer Allee und Ostseestraße hineinzieht. Wollte man an Pankows Spitze wieder feilen, man müßte zuerst dieses Loch stopfen. Den eigenwilligen Charme der Vorstadt gilt es gegenüber wieder herzustellen. Es fehlen nicht allein Läden und Wohnungen. Die Gewerbestandorte sind verkommen oder mit windigen Nutzungen besetzt. Was es braucht, sind keine Zentren und Passagen, keine markante Aufbaurhetorik, sondern eine bauliche Bastion für Pankow Spitze, damit der Wind nicht mehr hineinfahren kann und drinnen wieder spitzes Leben möglich ist. Rolf R. Lautenschläger