In 178 Berliner Labors werden Gene verändert

■ Genforschung: Ratten bekommen Bluthochdruck, Kartoffeln sollen Rohstoffe für Plastikfolie produzieren, und Bakterien sollen Umweltgifte fressen/ Bilanz der aufsichtsführenden Sozialverwaltung nach zwei Jahren Gentechnik-Gesetz ist erfreulich

Berlin. Auf den ersten Blick sieht das Gewächshaus des Instituts für Genbiologische Forschung (IGF) wie ein ganz normales Gewächshaus aus. Doch der Schein trügt. Bei dem Glasbau in der Dahlemer Ihnestraße verhindern Fliegengitter, daß Insekten in das Treibhaus gelangen, Besucher und Mitarbeiter müssen Schleusen durchqueren und sich die Hände desinfizieren. In den Blumentöpfen wachsen dann auch nicht »normale« Kartoffeln und Paprika — ihre Erbinformationen sind verändert worden, die Blätter haben andere Formen und Farben als im Schrebergarten. Das IGF ist eines von 178 gentechnischen Einrichtungen in Berlin, deren Wissenschaftler das Erbgut von Tieren und Pflanzen verändern.

Seit zwei Jahren müssen die Forschungseinrichtungen allerdings besondere Auflagen erfüllen, weil seitdem das Gentechnik-Gesetz gilt. Ihre Erfahrungen mit diesem Gesetz bilanzierte gestern Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) bei ihrem Besuch des IGF. Stahmers Sozialverwaltung, die auch für Arbeitsschutz, Unfallverhütung und Strahlenschutz zuständig ist, führt in Berlin die Aufsicht über die Genlabore. Zu gröberen Verstößen, so Stahmer, sei es in den beiden vergangenen Jahren nicht gekommen, so daß keine Bußgelder verhängt zu werden brauchten. Allerdings mußten manche Institute Holzschemel ersetzen oder geflieste Labortische ausbessern, weil die vorhandenen Ritzen und Fugen schlecht zu desinfizieren gewesen seien.

Für die 178 Anlagen gelten verschiedene Sicherheitsstufen, die von eins (kein Risiko für Gesundheit und Umwelt) bis vier (hohes Risiko) reichen. In Deutschland gibt es keine einzige Anlage der Stufe vier. In Berlin gilt für 119 Labore Stufe eins, für 58 Stufe zwei und für einen Laborbereich, in dem Aids mit Hilfe manipulierter Gene erforscht wird, Stufe drei. Hier darf Luft nicht ungefiltert ins Freie gelangen.

Auch für Teile des IGF in Dahlem gilt Stufe zwei, weil an Pflanzenschädlingen manipuliert werde, erläuterte Leiter Axel Brennicke. Sein Forschungslabor will in den kommenden Wochen beim Bundesgesundheitsamt (BGA) beantragen, im Labor genmanipulierte Kartoffeln auf einer Versuchsfläche im Freien zu pflanzen (die taz berichte). Es soll untersucht werden, ob die Kartoffeln, die eine besonders günstige Stärkesorte als Grundstoff für Plastikfolien enthalten, in der Natur ähnlich gut gedeihen wie im Gewächshaus. Das wäre der zweite Freilandversuch mit genmanipulierten Pflanzen in der Bundesrepublik. Hans-Jörg Buhk vom BGA sagte, daß bisher keine weiteren Anträge auf Freilandversuche gestellt worden seien. Er gehe aber davon aus, daß alle größeren bundesdeutschen Genlabore — wie die von Hoechst, Schering und Bayer — ihre manipulierten Pflanzen in der Umwelt erproben wollen. Dirk Wildt