Total an mir vorbei

■ »Finish«: Richard Rogler gastiert mit seinem zweiten Soloprogramm im Theater der Wühlmäuse

Wenn man ihnen auf der Straße begegnet, merkt man es gar nicht so richtig. Zugegeben, manchmal riechen sie nach ganz passablen Rasierwassern, und sie schnappen dir in Tegel immer das Taxi vor der Nase weg. Aber eigentlich sind die Camphausens dieser Welt eine eher unsichtbare Größe. Es ist eine dickbäuchige Armee in englischen Trenchcoats, die sich in den letzten zwanzig Jahren Schritt für Schritt durch diese Gesellschaft gekungelt hat. Nun gehen die Knittergesichter mit dem Nackenlagen-Fassonschnitt schwer auf die Fünfzig zu, haben den Überblick über ihr Privatleben verloren und über ihre Karriere sowieso.

Richard Rogler steht in seinem beigefarbenen Trenchcoat auf der Bühne des Wühlmäuse-Theaters und zieht zum dreiundvierzigsten Mal seine Bundfaltenhose hoch. »Jetzt nur nicht schlappmachen! Sonst reißt's ab«, entfährt es seinem ausgepowerten Antihelden Camphausen, der für Roglers zweites Soloprogramm »Finish« seine Galeristen- Vergangenheit gegen eine Karriere als Redenschreiber und Fernsehautor eintauschen mußte. Genutzt hat es ihm wenig. Mit dem Job als Programmleiter in Leipzig — »Camphausen! Alle machen im Osten Karriere, warum nicht auch du?« — war es dann doch irgendwie Essig gewesen. Keine Chance, die dreißig Mille Verbindlichkeiten abzutragen, und die Karin ist wohl auch weg.

Irgendwie hat er da schon das Gefühl, daß da irgendwas im Moment total an ihm vorbeiläuft, aber mal ehrlich: »Wer bei einer Bergwanderung zur falschen Zeit eine Pause einlegt, kriegt den Arsch nicht mehr hoch, und der Gipfel entschwindet in unerreichbare Ferne.« Das ist die Parole des Abends, das ist und bleibt das Motto für die Camphausens dieser Welt, die den Zug in Richtung Macht und Reichtum nur ganz knapp verpaßt haben. Aber knapp daneben ist dann doch auch irgendwie vorbei.

Ganz anders geht es da schon Camphausens Jugendfreunden, dem Bierbrauer und CSU-Bundestagsabgeordneten Ruckdeschel und dem ewigen SPD-Hinterbänkler Gerd Hechtfischer. Die haben es beide geschafft — ein bißchen jedenfalls und allemal mehr als der Camphausen, so weit, so klar! Der Weg des politisch geringsten Widerstandes führte die beiden Karrieristen ohne Umwege in einen schicken Porsche. Und im Rausch machtvoller Geschwindigkeit stören politische Überzeugungen nur, Überzeugungen, wie sie sich der arme Camphausen immer noch nicht abgewöhnen kann. Denn eigentlich will der Wähler die Wahrheit doch gar nicht hören, weiß der MdB Ruckdeschel — im Gegenteil: »Der Wähler will beschissen werden. Er muß nur das Gefühl haben, daß er ganz persönlich beschissen wird.«

Am erstaunlichsten an Richard Roglers Erfolgsprogramm »Finish«, mit dem er derzeit durch Deutschland tourt: daß es eigentlich niemanden mehr erstaunen kann, wenn er uns vorspielt, wie unsere Volksvertreter das Volk vertreten. Über diese macht- und geldgeilen MdBs, die sich in ihren Erfolg so verbeißen, daß sie keinen Biß mehr für die wahren Probleme des Lebens entwickeln können, schimpft das politische Kabarett schon seit seinem Bestehen — mindestens jedoch, seit der Spiegel in jeder dritten Ausgabe einen neuen Bestechungsskandal zu vermelden hat.

Nur wenige der obermoralinsauren Kabarettgrößen können mit solchen Schlipsträger-Gestalten noch Wirkung erzielen. Richard Rogler ist so einer, vielleicht weil er so sehr wie sie ist. Ein glaubhafter Darsteller dieser unglaublichen Dummheiten, die wir mittleres Management nennen und denen wir am Ende unsere Zukunft anvertrauen müssen.

Mit jener wundersamen Gleichmütigkeit, mit der das Leben seine korrupten Bahnen zieht, erzählt Rogler die Geschichte dieser drei Kriecherleben, und er erzählt sie so authentisch und ungekünstelt, daß einem am Ende unfreiwillig der Gedanke durch den Kopf schießt, wer da eigentlich gerade auf der Bühne steht: der Camphausen, der Rogler oder der Typ, der dir in Tegel immer das Taxi vor der Nase wegschnappt?

Das Rätsel bleibt an diesem Abend ungelöst, der Samsonite-Koffer zugeklappt, die Freundin verschwunden. Der Mythos Rogler lebt weiter — einer der besten Kabarettisten dieses Landes. Glaubhafter Darsteller unglaublicher Dummheiten — Dummheiten, über die wir Kabarettbesucher immer noch am liebsten lachen. Weil sie so lebensecht sind und doch so weit weg von unserer eigenen Realität.

Allzu laut sollten wir nicht lachen, schickt uns Camphausen nach zwei soliden Stunden Kabarettkunst auf den Boulevard zurück; das werde uns spätestens dann vergehen, wenn diese ganzen Sumpfgeigen aus Bonn hier endgültig auftauchen. Da müssen wir noch ein letztes Mal laut rausprusten, denn — mein Gott! — so schnell schießen die Preußen doch nicht! Oder vielleicht doch? Ob da nicht auch an uns ganz schwer was vorbeiläuft? Klaudia Brunst

Richard Rogler mit »Finish« noch bis zum 19. September täglich außer montags um 20.30 Uhr im Theater der Wühlmäuse, Nürnberger Straße 33