Desaster zweier Kommunikationsexperten

Christina Weiss möchte mit  ■ Gegenbühne

ein neues Diskussionsforum initiieren/Die

erste Veranstaltung bot verständnislose Monologe von Oskar Negt und Michael Schirner

Öffentlichkeit ist ein Zauberwort. Man braucht, korrumpiert oder verschmäht sie - jedenfalls: keiner tut mehr etwas ohne sie. Anders gesagt: alles wirbt. Womit wir beim Thema wären. Am Montag abend erblickte eine Veranstaltung das grelle Licht der südlichen Deichtorhalle, die - geht es nach dem Wunsch der Kultursenatorin - in ihrer Art noch lange leben soll. Christina Weiss will „Sicherheitszonen“ knacken und „subversive Kraft“ mobilisieren, sie will „Neuralgisches“ und „Grundsätzliches“, kurz sie will: „Gegenbühne“.

Das nämlich ist der Titel einer Reihe, die unter ihrer Federführung von der Kulturbehörde ins Leben gerufen, mit dem hohen Anspruch jongliert, den „öffentlichen Dialog über Kultur anregen und fachlich bereichern“ zu wollen. Zu diesem Zwecke hatte man sich im zentralen Raum der dort gerade stattfindenden Remy Zaugg-Ausstellung zu einem Cometogether über das programmatische Thema „Braucht Kultur Werbung?“ eingefunden. Als Streithähne waren der Soziologe Oskar Negt und Werbekönig Michael Schirner eingeladen worden - mütterlich umsorgt von Ex-Tazlerin Giorgia Tornow, die durch den Abend steuerte.

Doch hier lag das Problem, beim Steuern. Es zeigte sich schnell, daß die begriffliche Unschärfe des Themas zu einem heillosen Durcheinander der Verständigungsgrundlagen führte. Da war Michael Schirners Fazit am Ende, Negts Position sei ihm „absolut unverständlich“, nur konsequent. Der Begriff der „Kultur“ wurde ad libitum umgemünzt, mal wie Kunst gebraucht, dann wie „Lebensstil“ oder als allgemeines System gesellschaftlicher Produktivität. Schirner hatte kulturelle Großveranstaltungen im Sinn, Negt eher den emphatischen Begriff einer „Geschmacksbildung der Sinne“, die - in bester Aufklärungstradition - durch gesellschaftlich fortgesetzte Bildungsprozeße ästhetisch initiiert werden soll.

Aber auch mit dem vermeintlichen so schlichten Sachverhalt der Werbung wurden Bocksprünge gemacht. Das gipfelte im Credo des Fachmannes Schirner: Werbung sei eben doch die modernere Kunst! Es hat dieses Desaster kommunikativer Praxis zweier Kommunikationsexperten einmal mehr gezeigt, in welchem Reflexionsnotstand die Öffentlichkeit „räsonnierender Privatleute“ steht. Verständigung und

1Gespräch sind segmentarisiert und werden in einer Vielzahl von Fachschaften geführt.

Die Strukturbedingungen von „Öffentlichkeit“ hat Habermas einst beschrieben - am Beispiel des 18. Jahrhunderts! Der kritische, öf-

1fentliche Dialog ist eine Fiktion, ein ehrbarer Traum nach Durchsichtigkeit. Das Selbstwertgefühl des postindustriellen Bürgers definierte Frau Tornow anders: „Ich bin ein emphatischer Konsument!“ Stefan Rosinski