: Harte Zeiten für Schwarzfahrer
■ Hochbahn will künftig Personalien aller Fahrgelderschleicher sammeln / Senat plant dagegen, die Strafen zu entschärfen
sammeln / Senat plant dagegen, die Strafen zu entschärfen
Mit Beginn des Winterfahrplans will die Hamburger Hochbahn (HHA) drakonisch gegen Schwarzfahrer vorgehen. Ab dem 27. September nämlich sollen die Personalien sämtlicher Fahrgelderschleicher in Bussen und U-Bahnen im Computer registriert werden.
Bislang konnten sich Schwarzfahrer von dieser Erfassung mit der sofortigen Zahlung von 60 Mark freikaufen. Die Daten der übrigen Ertappten wanderten in die HHA- Akten - wer drei Mal im Jahr ohne Fahrschein erwischt wurde, mußte mit einem Strafverfahren rechnen. Diesen Hammer will die Hochbahn jetzt auch gegen die Barzahler schwingen. Begründung: Aus dieser Personengruppe rekrutierten sich die planmäßigen Schwarzfahrer, die exakte Kosten-Nutzen-Rechnungen aufstellten. Dem wolle man nun nicht länger dadurch Vorschub leisten, daß man sie ohne Personalienfeststellung laufen läßt. Jährlich 40000 Menschen zahlen die 60 Mark sofort - sie werden die rigide Maßnahme der HHA jetzt wie die übrigen 145000 jährlichen Schwarzfahr-Kandidaten zu spüren bekommen.
Die Ankündigung der HHA platzt jedoch in eine Debatte unter Juristen, die genau das entgegengesetzte Ziel anvisieren: Die Entkriminalisierung der Schwarzfahrer. Eine Forderung, die in diesem Jahr immer häufiger von Hamburger Richtern, Staatsanwälten und Justizbeamten erhoben wurde. „Wir wollen nicht länger Armut bestrafen“, mit dieser Position hatten sich gewerkschaftlich organisierte Richter im Frühjahr zu Wort gemeldet. In einem Fünftel der Fälle, so hatte Amtsrichter Joachim Katz vorgerechnet, verfügten die Beklagten über ein Monatseinkommen zwischen 300 und 600 Mark. Anfang 1992 verbüßten 30 Schwarzfahrer in Hamburgs Knästen Freiheitsstrafen. Im Jahr 1990 wurde gegen 10000 Schwarzfahrer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, 1433 Menschen wurden verurteilt.
„Bei solch kurzen Strafen können wir mit denen im Strafvollzug nichts vernünftiges anfangen“, räumt auch Justizpressesprecher Nikolaus Berger ein. Bei durchschnittlichen Streitsummen von etwa 50 bis 100 Mark laufen im Knast täglich 140 Mark Unterbringungskosten auf. Ein deutliches Mißverhältnis. Der Hamburger Verkehrsverbund hält dem seine Einnahmeverluste von jährlich 10 Millionen Mark durch Fahrgelderschleichung entgegen.
Die GAL-Fraktion fordert vom Senat jetzt eine Bundesratsinitiative zur Streichung der Fahrgelderschleichung aus dem Strafgesetzbuch. „Wir denken derzeit über diesen Antrag nach“, bestätigte Berger. Möglich wäre entweder die völlige Streichung aus dem Strafgesetzbuch oder die Herabstufung des Schwarzfahrens zur Ordnungswidrigkeit. Ende des Jahres will die Justizbehörde darüber befinden. Zu der neuen HHA-Maßnahme enthielt sich der Senat aber jeden Kommentars. Sannah Koch
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