Drohung: mehr Demokratie

Enquête-Kommission präsentiert  ■ Radikalreform der Bürgerschaft

Ledertapezierte Wände, nackte Jungfrauen und fette Walrösser als Deckengemälde, Sekt und O-Saft — in der vornehmen Umgebung des Bürgersaales im Rathaus fand gestern mittag eine denkwürdige Begegnung statt: Der Jurist Wolfgang Hoffmann-Riem drückte Bürgerschaftschefin Elisabeth Kiausch mit freundlich-harten Worten den gut 600 Seiten dicken und mit 13:1 Stimmen verabschiedeten Bericht der Enquête-Kommission „Parlamentsreform“ in die Hand, der, obwohl bloß aus Papier, den Politapparat der Hansestadt ganz gehörig durcheinanderwirbeln dürfte. Der Bericht hat es nämlich, wie schon mehrfach vorab berichtet, in sich, ziemlich sogar.

Mit Volkspetition (10000 Einwohner erzwingen Parlamentsdebatte), Volksbegehren (10 Prozent der StimmbürgerInnen für eine Gesetzesdebatte) und Volksentscheid (51 Prozent können Gesetz erzwingen) soll mehr Demokratie gewagt werden.

Komfortable Akteneinsichtsrechte und die öffentlichkeit der Ausschüsse, mehr Rechte für kleine Fraktionen und Untersuchungsausschüsse könnten den Abgeordnetenalltag revolutionieren. Besonders umstürzlerisch ist der Vorschlag der Unvereinbarkeit von öffentlichem Dienst und Bürgerschaftsmandat.

Auch der Diätenskandal, eigentlicher Anlaß der Kommission, wurde bewältigt: Abgeordnete sollen zukünftig monatlich 6800 Mark brutto erhalten (bisher 1920 Mark netto), verlieren dafür aber Zuschüsse für wissenschaftliche Hilfskräfte, Sitzungsgelder und Fahrkostenpauschalen. Eine bescheidene Abgeordnetenrente (136 Mark pro Abgeordnetenjahr) soll soziale Sicherheit verschaffen.

Deutliche Änderungen gibt's beim Wahlverfahren: die Wahlperiode mit fünf statt vier Jahren, 101 statt bislang 121 Abgeordnete, von denen 41 per Wahlkreis und 60 per Liste ins Parlament rücken. Der Erste Bürgermeister wird Chef und darf Senatoren ernennen und wieder entlassen. Bonbon für die Senatoren: Sie dürfen gleichzeitig Abgeordnete sein.

Werden Hamburgs ParlamentarierInnen den Anschlag auf ihre Verfassung hinnehmen? Ein klares Ja der GAL, ein zögerliches Augen- zu-und-durch bei der SPD, konkrete Kritik von der FDP und verdächtiges Grummeln bei der CDU erlauben vielfältige Spekulationen.

Noch aber geben sich alle zuversichtlich: Die Reform, so versichern alle noch einhellig, soll möglichst komplett und schnell durchgezogen werden. Besonders umstritten sind aber noch: der Wegfall der Abgeordneten-Hiwis und die Parlamentssitze der Senatoren. Florian Marten