Fehlende Sesamstraße zerstört Familienleben

■ Kindersendung nur noch donnerstags/ SFB: Glotze nicht pädagogisch wertvoll

Berlin. „Warum lassen die nicht lieber das Sandmännchen weg, in der Sesamstraße ist viel mehr drin.“ Noch hat die siebenjährige Jennifer nicht verschmerzt, daß Samson, Tiffy und das Krümelmonster jetzt nur noch donnerstags zu sehen sind, seit der neue Sender B1 das Nord 3-Programm ersetzt hat. Jennifers MitschülerInnen von der Kreuzberger Lenau- Schule stimmen in ihre Klage ein – Spätnachmittage ohne Sesamstraße sind für sie ohne Glanz. Und auch den Eltern fehlt etwas: „Das ist so eine gute, informative Kindersendung“, sagt Beate Cichowski, Mutter einer sechsjährigen Tochter. „Jetzt guckt Nastassja statt dessen ,Hallo Spencer‘ und was sonst so kommt.“ Und was gefällt ihr besser? „Sesamstraße“, platzt Nastassja heraus.

Im Kinderladen „Nostitzstraße“ ist die Abwesenheit des Krümelmonsters auch schon bemerkt worden. „Da kommt jetzt was anderes. Und das ist sehr schade“, klagt die vierjährige Luka. Den anderen Kindern ist es eher egal: „Es kommen ja auch Donald Duck und Asterix und viele Sachen im Fernsehen“, sagt die sechsjährige Rabia. Die Wertschätzung der Sesamstraße, meint die Erzieherin Sabine Herold, hinge davon ab, wie bewußt die Eltern mit dem Fernsehen umgingen. „Wenn die Kinder nicht alles gucken dürfen, merken sie das Fehlen der Sesamstraße stärker, als wenn sie ständig vor irgendwelchen Zeichentrickfilmen in den privaten Sendern hocken.“

Beim SFB sind inzwischen schon viele Klagen und Nachfragen eingegangen. „Hier haben eine Menge von Eltern angerufen und gesagt, daß ihr Familienleben jetzt zerstört sei, daß die Kinder ohne Sesamstraße nicht mehr einschlafen könnten“, erzählt Sendeleiter Ulrich Anschütz. Diese Schreckensberichte hält er allerdings für übertrieben: „Man muß die Kirche im Dorfe lassen.“ Erstens biete das Kinderprogramm des ORB – das aufgrund der Kooperationsvereinbarung zwischen ADR, SFB und ORB immer zwischen 17.30 und 18.30 Uhr in B1 läuft – auch andere gute Kindersendungen wie die „Sendung mit der Maus“. Zweitens sei Nord 3 sowieso das einzige dritte Programm gewesen, das die Sesamstraße noch an fünf Tagen in der Woche gezeigt habe, weil die Lizenzrechte daran sehr teuer seien. „Mit einmal Sesamstraße wöchentlich sind wir also ganz auf der ARD-Schiene.“ Und schließlich lernten die Kinder in der Sesamstraße „gar nichts über das Leben – sie lernen darin nur fernsehen, nämlich mit den schnellen Schnittfolgen umgehen“. Wer aber Kinder habe, meint Anschütz, der wisse: „Die Glotze ist nichts pädagogisch Wertvolles.“ Miriam Hoffmeyer