■ Der Protest französischer JüdInnen in Rostock gegen Rassismus zeigt seine erste Wirkung
: Vom Spektakel zum Skandal

Was ist ein Spektakel in der Politik? Ein Spektakel ist die versuchte Inszenierung eines Skandals, die bewußte Übertreibung der Mittel, die mißlingt; eine kalkulierte Maßnahme, bei der die Wahrnehmung des Kalküls die des Motivs überdeckt.

Der Rostocker Bürgerschaftspräsident Christoph Kleemann hat die französische Besetzung eines deutschen Rathauses „ein Spektakel mit fragwürdigen Mitteln“ genannt: Französische JüdInnen protestieren gegen den Ausländerhaß in Rostock und anderswo wie gegen die für den 1.November geplante Abschiebung der Roma aus Deutschland. Sie sind in der Wahl ihrer Mittel drastischer als deutsche DemonstrantInnen, wenn auch bei weitem nicht so drastisch wie jene Provokateure, die Molotow-Cocktails in Heime für AsylbewerberInnen werfen und deren Mordversuche von der deutschen Politik gern als hilflose Unmutsäußerungen gewertet wurden. Die französischen JüdInnen, zu denen Beate Klarsfeld gehört, halten sich nicht an die Regeln deutscher Protestpolitik, die lauten: erstens die Genehmigung, zweitens dieselbe mit Durchschlag, drittens ein mäßiger Landfriedensbruch, viertens ein Abtransport mit leichten Schlägen auf den Hinterkopf.

Beate Klarsfeld ist inzwischen wieder auf freiem Fuß. Die Rostocker Behörden haben auch fast alle vorläufig Festgenommenen wieder entlassen und so den deutschen MitbürgerInnen gleichbehandelt, die nach Angriffen auf AsylbewerberInnen wieder nach Hause geschickt wurden. Die Polizei hat mäßig, der Senat erwartbar bewußtlos reagiert; beide Parteien haben so dafür gesorgt, daß aus dem „Spektakel“ dann doch ein Skandal geworden ist: Die Stadt Rostock wird ihren klangvollen Namen im In- und Ausland behalten. Der Bürgerschaftspräsident, der das „Spektakel“ beklagte, hat mit Recht die Ungerechtigkeit symbolischer Aktionen zum Ausdruck gebracht: Skandale müssen unverhältnismäßig sein, und sie treffen auch gern die Falschen. Der Rostocker Senat ist an der Abschiebung der Roma so unbeteiligt wie alle anderen Behörden, und die Rostocker Bevölkerung leidet gewiß mit Zartgefühl darunter, zum Synonym für Ausländerfeindlichkeit geworden zu sein.

Der symbolische Protest wird notwendig, wo alle anderen Mittel versagen. Je geschmacksärmer, je ungerechter, je „spektakulärer“ er ist, um so eher erreicht er sein Ziel. Die 1.000 Roma und Sinti, die vor genau drei Jahren auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme in den Hungerstreik traten, um ihre Abschiebung zu verhindern, wurden zunächst ebenso „geräumt“ wie die 40 „Töchter und Söhne der aus Frankreich deportierten Juden“ aus dem Rathaus. Die Besetzung eben des Ortes durch Roma und Sinti, an dem ihre Familien zu Tode gearbeitet wurden, zeigte damals unmittelbar weniger Wirkung als jene kleine, präzise kalkulierte Aktion der skandalerfahrenen Beate Klarsfeld, die ihre Aktion erst vor einigen Tagen in einer deutschen Zeitschrift ankündigte. Es ist nicht ihr, sondern der deutschen Politik anzulasten, daß es so unendlich einfach ist, aus einem Spektakel einen Skandal zu machen. Der Souverän ist eben nicht das Volk und seine Vertretungen, sondern allein das Individuum. Elke Schmitter