Verfahren, von der Geschichte überholt

■ Die Verteidiger von Klar und Boock plädierten/ Urteil in der nächsten Woche

Stuttgart (AP) – Im Stammheimer Prozeß um den RAF-Überfall auf eine Züricher Bank im November 1979 haben am Dienstag die Verteidiger der ehemaligen Terroristen Christian Klar und Peter- Jürgen Boock plädiert. Vor dem zweiten Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts verzichteten die Anwälte darauf, ein festes Strafmaß für ihre Mandanten zu beantragen. Das Urteil soll nächste Woche fallen.

Die Karlsruher Bundesanwaltschaft hatte am Vortag jeweils lebenslange Strafen gefordert. Die Ankläger hielten die beiden früheren Mitglieder der Rote Armee Fraktion der Täter- und Mittäterschaft an einem Raub mit Todesfolge in Tateinheit mit Mord, an insgesamt fünf Mordversuchen und an einem weiteren schweren Raub für schuldig.

Bei dem Bankraub in Zürich hatte die RAF-Gruppe, zu der auch die bereits verurteilten Rolf Klemens Wagner und Henning Beer gehörten, am 19. November 1979 insgesamt 548.000 Schweizer Franken erbeutet. Auf der Flucht durch die Züricher Innenstadt, bei der sich das Quartett den Weg buchstäblich freischoß, war eine unbeteiligte Passantin getötet worden. Zwei Polizisten und eine Autofahrerin trugen schwere Verletzungen davon.

Klars Anwälte Arno Stengert und Heike Krause räumten in ihren Plädoyers eine Beteiligung des 40jährigen an dem Überfall nicht ein, sondern versuchten, die einzelnen Tatvorwürfe zu entkräften. So sei die Klar zugeschriebene Tatwaffe im Sommer vor zwei Jahren vom Bundeskriminalamt vernichtet worden. Außerdem sei das auf die Passantin abgegebene tödliche Geschoß in der unterirdischen Ladenpassage am Züricher Hauptbahnhof nie gefunden worden. Krause warf der Bundesanwaltschaft vor, ein „linkes Terrorbild“ gezeichnet zu haben. Es handle sich um ein künstliches Verfahren, das von der Geschichte längst überholt sei, sagte die Anwältin.

Ihr Kollege Stengert setzte sich ausführlich mit der Problematik der Kronzeugenregelung und den Aussagen der RAF-Aussteiger Werner Lotze, Silke Maier-Witt und Henning Beer auseinander. Der Anwalt äußerte den Verdacht, daß die Bundesanwaltschaft den drei Kronzeugen unzulässige Vorteile bezüglich ihrer Haftbedingungen oder hinsichtlich einer vorzeitigen Haftentlassung gemacht habe. Auch der Mitangeklagte Boock habe sich Vorteile von seinem Geständnis versprochen. Stengert kritisierte dies als Verstoß gegen ein faires Verfahren.

Boock-Anwalt Johannes Riemann beantragte ebenfalls kein festes Strafmaß für den 41 Jahre alten RAF-Aussteiger, da dies seiner Meinung nach ohnehin in einer Gesamtstrafe aufgehen würde. Riemann vertrat die Auffassung, daß Boock lediglich wegen schwerer räuberischer Erpressung sowie wegen vollendeter Körperverletzung zu bestrafen sei. Boock habe sich an dem Banküberfall beteiligt, und er habe auf der Flucht ungezielt und ohne Tötungsabsicht auf einen verfolgenden Polizisten geschossen, der zuvor auf die Terroristen gefeuert habe, räumte der Verteidiger ein. Die Frage nach Boocks Tatbeteiligung müsse jedoch im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsteiligkeit geprüft werden, verlangte Riemann. An den Schüssen auf zwei Polizisten sei Boock zum Beispiel nicht beteiligt gewesen, weil er auf einem Fahrrad mit platten Reifen gesessen und größte Mühe gehabt habe wegzukommen.

Die Bundesanwaltschaft hatte in die am Montag von ihr verlangten lebenslangen Strafen die bereits früher gegen Klar und Boock ergangenen Urteile einbezogen. Beide verbüßen unter anderem wegen ihrer Beteiligung an den Morden an Bankier Jürgen Ponto und an Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer lebenslange Freiheitsstrafen. Die Ankläger hatten es dem Senat freigestellt, im Falle Boocks, der im Frühjahr eine „Lebensbeichte“ abgelegt hatte, die Kronzeugenregelung anzuwenden.