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Asyl oder Todesstrafe?

■ Jugoslawischer Deserteur auf der Flucht / Kein Asyl für Serben

“Ich wollte nicht mehr auf Menschen schießen, wollte nicht morden, Menschen umbringen.“ Safet Mujic (*) stammt aus Serbien und ist Angehöriger der moslemischen Minderheit. Das heißt, er gehört einer Bevölkerungsgruppe an, die von der Regierung in Belgrad verdrängt werden soll. Safet ist zwanzig Jahre alt und aus der Jugoslawischen Bundesarmee desertiert. „Er spricht nicht gern über seine Flucht“, sagt Angelika Halilagic, die Dolmetscherin.

Durch eine vorgetäuschte Krankheit war es Safet gelungen, seine Einheit in Novi Sad zu verlassen, und nach Belgrad zu kommen, wo er im Militärkrankenhaus untersucht werden sollte. Dort hat er sich aber nicht gemeldet, sondern fuhr gleich weiter nach Sarajevo. Mit einem Laster, der Hilfsgüter nach Zagreb transportiert hatte, kam Safet nach Bremen.

„Die hiesigen Behörden erteilten Safet eine Duldung aufgrund der Entscheidung zugunsten kroatischer Flüchtlinge“, sagt Thomas Pörschke, Leiter des Bremen- Norder Flüchtlingsbüros des Arbeiter Samariter Bundes. Als die Behörden zum späteren Zeitpunkt feststellten, daß er aus Serbien stammt, wurde ihm die Abschiebung angedroht. Im Ausländeramt sagte man, er habe Glück gehabt, daß er nicht sofort verhaftet worden wäre. Das ASB-Büro klärte die Behörde auf: Safet stamme zwar aus Serbien, gehöre aber einer moslemischen Familie an, die in einem Gebiet lebt, in dem Massenvertreibungen durchgeführt werden. „Die Behördenleitung hat die Entscheidung anschließend korrigiert und die Duldung erteilt“, sagt Thomas Pörschke.

„Duldung“ bedeutet eine Aussetzung der Abschiebung. Die betreffenden Personen haben keinen Rechtsanspruch darauf, im Land zu bleiben, werden aber nicht absgeschoben. Dies wird nur in besonderen Situationen angewandt: bei Krankheit, familiären Härtefällen, oder im Einzelfall, wenn „erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“ besteht, so der Gesetzestext. Die Entscheidung liegt im Ermessen der Ausländerbehörde.

Für Deserteure gab es in Bremen eine Sonderregelung, die aber wieder ausgesetzt wurde. Die einzige behördliche Regelung, die es zur Zeit gibt, ist der generelle Abschiebestopp für Menschen aus Bosnien-Herzogowina bis Ende März 1993. Eine zweite Regelung beschränkt sich auf Bürgerkriegsflüchtlinge aus Kroatien, die vor dem 22. Mai 1992 eingereist sind. Für serbische Flüchtlinge gibt es keine Duldung. „Es gibt eine Tendenz, den Deserteuren das Asyl zu verweigern“, stellt Pörschke fest.

Safet kann nicht zurückkehren. Vor einigen Tagen hat er mit seiner Stiefmutter telefoniert. Sie sagte ihm , daß alle Moslems aus ihrer Heimat vertrieben werden und Schlimmes zu befürchten wäre. Den Weg zurück gibt es nicht mehr: Nach dem jugoslawischen Militärstrafgesetzbuch werden Deserteure mit mindestens fünf Jahren Haft bestraft — oder mit der Todesstrafe.

Marjo Miljak (*) stammt aus einer kroatischen Küstenstadt, deren Name er nicht nennen will. Seine Eltern sind kurz nach seiner Geburt mit ihm und seinen Geschwistern in die serbische Hauptstadt Belgrad gezogen. Letzten November floh der Student nach Deutschland. Aus Sorge um die nierenkranke Mutter kehrte er im März nach Belgrad zurück, wo er sich oppositionellen Gruppen an der Uni anschloß. Die Uni wurde mehrere Monate lang bestreikt. In ihrer Arbeit wurden die Studenten von Gewerkschaftsgruppen unterstützt. Zusammen forderten sie die Ablösung der Regierung und Neuwahlen sowie das Ende aller Kampfhandlungen. Als die Behörden wieder auf Mario aufmerksam wurden, floh er.

Ende September beantragte er im Stadtamt Bremen eine Duldung. Seine Aussichten sind schlecht: Er ist jedoch nach dem 22. Mai eingereist und hat zuletzt in Belgrad gelebt. Das Stadtamt Bremen schrieb ihm folgenden Brief: „Ihr Aufenthalt wurde bisher aus humanitären Gründen im Bundesgebiet geduldet. Laut Anweisung des Bundesinnenministers hat sich die Situation in Kroatien dahingehend stabilisiert, daß eine Rückkehr wieder möglich erscheint.“ Auf Bitten des ASB soll Mario nun bis Ende November eine Stellungnahme einreichen, die in Abstimmung mit dem Senator für Inneres überprüft wird. „Die Behörde scheint erkannt zu haben, daß die Situation vieler Bürgerkriegsflüchtlinge komplizierter ist, als man ursprünglich vermutet hat“, sagt Pörschke.

(*) Namen von der Redaktion geändert. Vivianne Agena

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