Hockenheimer und Rheumawiesen

■ Camping-Kultur: erstaunlich, vielfältig, fremd / Der 40. Geburtstag des Camping Club Bremen

Hockenheimer und Rheumawiesen

Camping-Kultur: erstaunlich, vielfältig, fremd / Der 40. Geburtstag des Camping Club Bremen

„Wir wollten frei sein und ungezwungen“ — wenn sich Gerda Seedorf an die alten Zeiten zurückerinnert, wollen wir es ihr gern glauben, daß Camping im Utopischen wurzelt. Sicher hatten auch Kegeln und Kohlfahrten einst mit Freiheit zu tun. Heute ist Camping identisch mit Caravaning, und wenn sie sich bewegen, sind sie der Schrecken der Landstraßen, und wenn sie stehen, umgeben sie sich mit Zäunchen, halten den Rasen kurz und verbergen ihre Leibesfülle unterm Jogging-Anzug. Der Camping Club Bremen (CCB) feierte am vergangenen Wochenende seinen 40. Geburtstag mit viel Besuch selbst aus Süddeutschland. Am Campingplatz am Unisee konnte man sich ansehen, wie der gemeine Camper 1993 wirklich ist.

Als sich der CCB 1953 konstituierte, war Freizeit etwas anderes als heute. Zumindestens erheblich rarer. Man hatte die 45-Stunden- Woche. Autos waren kein Allgemeingut, Reisen selten. Doch wie immer gab's ein paar Verrückte, die es ins Grüne zog, und die packten ihr Zelt aufs Rad, verstauten Klamotten und Eßbares in selbstgenähten Packtaschen, zogen gegen Regen den Kleppermantel über und fuhren am Wochenede nach Syke auf den Zeltplatz. Einer hieß Enno Seedorf, Gerdas späterer Mann. Vor exakt 40 Jahren gründete er mit zehn anderen den hansestädtischen Camping-Club. Ab da ging's bergauf.

Bergauf: ein Jahr später kam der Hilfsmotor aufs Fahrrad, dann die Lambretta — ein Motorroller, der fürs Weserbergland und Sylt gut war. Dann kam SIE, und man paddelte mit dem Faltboot die Weser aufwärts, um in den Badener Bergen zu zelten. Später machten die Seedorfs eine Fahrschule auf und schafften einen Käfer an — Schwarzwald. 1960 kam die Anhängerkupplung plus Wohnwagen. Ein Traum. Der Camper wurde zwar eher belächelt auf seiner „Rheumawiese“, aber tief drinnen wußte er um seine Freiheit, morgens ungekämmt zum Frühstück erscheinen zu können.

Das hat sich bis heute nicht geändert: man darf Sand im Auge und Wickler in den Locken tragen, solange man die Minimalforderung Jogginganzug erfüllt. Selbst schmutzige Teller trägt man mit einem gewissen Stolz zu den Spülbecken — das gehört zum Campen wie die Grillorgie abends.

Sonst ist natürlich vieles anders geworden in 40 Jahren. Des Bremer Vorsitzenden Wolfgang Richters Caravan ist 6,60 Meter lang, hat ein separates Schlafzimmer und Fußbodenheizung. Der Markt bietet Keramikklos mit 50-Liter-Fäkalientank, notfalls in

hier das Camper-Paar

„Man paßt auf sich auf“ — zumindest an 50 von 52 Wochenenden im JahrFoto: Bus

Colani-Design. Satelliten-Antennen sind Standard, Tresor und Design-Mobiliar in Kirsche gegen Aufpreis drin. Man braucht heute nichts mehr zu missen, und Rheuma kriegt man sonstwoher, nicht von der Wiese. Richter kommt, wenn er sein Gespann zusammenrechnet, auf 3,5 Tonnen und 72.000 Mark. Und doch sagt er, das rechnet sich: für sich und seine Frau komme er auf 6,50 Mark pro Tag. Was er nicht dazusagt: sie sind von 52 Wochenenden 50 unterwegs. Besessene!

Der CCB ist ein Verein, wie es sich gehört. Mit Dachverband (DCC in München), mit Vereinsgelände bei Wildeshausen, wo man unter sich campt, mit Jahresbeitrag (75 Mark) und Arbeitsdienst. Der macht acht Stunden im Jahr aus — bei 250 Mitgliedern steht man sich da beim Rasenmähen schon mal auf den Füßen. Bälle, Rallyes, Lampionfeste, man feiert gern und ist gesellig. Die meisten sind weit jenseits der 40, doch junge Familien rücken nach, die die „Ungezwungenheit“ der Campingszene ihren Kindern bieten wollen. Wolfgang Richter sagt den zentralen Satz zum deutschen Vereinswesen ganz nebenher: „Man paßt auf sich auf.“

Wenn Leute lange genug zusammenhocken, entsteht Kultur. Dieser Satz ist so ernüchtend wie wahr. Die Camper, im Bemühen um künstliche Sinnzusammenhänge, haben eine vielfältige Wimpel- und Abzeichen-, Stempel- und Fahrtenbuchkultur entwickelt, ja die großartigste Trophäe ist gar noch eine Reminiszenz an da

mals, das „Goldene Zelt“. Bewegende gesellschaftliche Anlässe sind das „Anzelten“ sowie das „Abzelten“ zu Saisonbeginn und Saisonende. Traditionslumpen reden allerdings schon offen von An- und Abcampen.

Der wahre Camper allerdings kennt keine Saison. Er ist immer auf Achse, wenn er kann, das Wetter schreckt ihn nicht. Trifft er im Schneesturm auf der Autobahn einen Gleichgesinnten, hebt er die Hand zum Campergruß der Harten: Handfläche ganz gegen die Windschutzscheibe gedrückt. Solche Leute haben meist blaue Au

gen, die sinnend zum Horizont schauen. Immer auf der Suche nach dem kleinen Schild mit dem großen C und dem Zelt. Der wahre Camper hat die Ruhe weg, bleibt lange gesund, wird alt und hat eigentlich nur einen Feind, das ist nämlich einer, mit dem er verwechselt werden kann: der „Hockenheimer“. Der steht ganzjährig an einem Platz und hat im Grunde ein Gartenhäuschen. Und verletzt Campers Grundgesetz, das den Zustand des Wohnwagens so festschreibt: „Angemeldet, versichert, fahrbereit!“

Burkhard Straßmann