Das siebte Reformhaus

■ Im Ernst-Waldau-Theater walten jetzt die Honoratioren / Michael Derda soll die Kunstleitung auf sich nehmen

Wenn es nach dem „Freundeskreis“ des Ernst-Waldau- Theaters geht, wird der Bremer Schauspieler Michael Derda demnächst das wankende Haus aufrichten dürfen: als dessen künstlerischer Leiter. Dies gestand gestern auf Anfrage Friedrich „Erbonkel“ Rebers, Oberhaupt von Sparkasse, „Freundeskreis“ und Waldau-Aufsichtsrat. Derda, welcher derzeit noch im Packhaus-Theater mitmischt, wollte noch vorgestern davon überhaupt nichts wissen. Wie auch immer: „In zwei, drei Wochen“, sagt Rebers, „dürfte die Sache ausgehandelt sein“.

Seit einem halben Jahr wird ja nun schon über die Frage spekuliert, wer dem Theater sein neues Profil verpassen solle. Die entnervte Kulturbehörde, welche jedes Jahr anderthalb Millionen zuschießt, schleuderte ein Ultimatum nach dem andern und wollte endlich Konzepte lesen und Namen hören; nun ist also der erste gefallen. Im Hintergrund aber laufen sich wahrhaftig schon zwei ganz andere wieder warm: Ingrid Waldau-Andersen nämlich und Rolf B. Wessels persönlich.

Speziell gegen diese beiden hatte sich eigentlich Helga Trüpels Parole vom „Neuanfang mit neuen Leuten“ monatelang erbarmungslos gerichtet: gegen die bereits gekündigte Chefin und ihren Chefdramaturgen. Nun sind sie, wie Kenner schon geargwöhnt hatten, doch wieder im Spiel. Die Kündigung, die der alte Trägerverein gegen das Duo zum 31.7. ausgesprochen hatte, ist längst wieder aufgehoben; dafür hat die frischgebackene Waldau-GmbH unter Rebers gesorgt. Jetzt haben Waldau und Wessels neue Anstellungsverträge als sogenannte „künstlerische Berater“.

Die Kultursenatorin Trüpel kann sich darob nicht recht begeistern: „Nein, aber damit muß

hier Glatze

ich mich abfinden“; sie zahlt vorerst weiter. Zumal ja, wie sie beteuert, ein „vielversprechendes künstlerisches Konzept“ schon vorliege — und ein diesbezüglich positives Gutachten obendrein. Bloß: Konzept und Gutachten liegen auch der taz vor. In dem Konzept, verfaßt von dem gleich hinterher zurückgetretenen Waldau-Vereinsvorsitzenden Jo Hanns Müller, ist außer dem Gedanken, daß es künftig besser, schneller, weiter und höher gehen müsse, kein zweiter Gedanke aufzufinden. Und das künstlerische Gutachten, verfaßt von Christian Seeling, dem ehemaligen Geschäftsführer des Ohnsorg-Theaters, fand auf ganzen zweieinhalb Schreibmaschinenseiten diesen guten Willen begrüßenswert. Das war alles. Daraufhin schrieb am 2.12.92 die Kultursenatorin dem Theater, die „eingehende fachgutachterliche Untersuchung“ habe „begründete Hoffnungen entstehen lassen“, daß „insbesondere durch die neue Personalstruktur“ die Lage sich „langfristig verbessert“ usw. Seither nehmen die Dinge ihren Fortgang.

Vorsichtshalber hat Helga Trüpel aber dem Theater schon mal die Bezüge gekürzt: Seit März muß das Haus auf 15 Prozent seiner monatlich 125.000 Mark verzichten; also auf knapp 19.000 Mark, welche sofort für die EDV-Ausstattung der Stadtbibliothek beschlagnahmt werden. Und im Sommer des nächsten Jahres soll „politisch neu über das Theater entschieden werden“, sagt die Senatorin.

Die wirtschaftliche Leitung behält übrigens Helmut Zorn, Handelsmann allhier. Er hatte das Amt eigentlich nur kommissarisch ausüben wollen, weil er schon sechs Reformhäuser am Hals hat. „Das Platt“, sagt er, „das ist die Sprache der Hanse und der alten Kaufleute. Da muß man was tun für!“ Es stehen ihm bei: Der Steuerberater Manfred Weidenbach in punkto Buchführung und, in Rechtsbelangen, vor allem Dr. Klaus Gätjen, der gefürchtete Vorsitzende des Goethebundes, nebenher Anwalt, und gerade auch von Ingrid Waldau-Andersen. Allesamt zählen zum „Freundeskreis“, welcher mehr und auch weniger verdiente Honoratioren enthält und seit einem halben Jahr die Geschicke des Theaters verwaltet und nicht mehr hergibt. „Sehen Sie“,sagt Rebers, „wir sind eine richtige Bürgerinitiative“. Manfred Dworschak