Aufwärts mit Gejammer

■ Phono-Industrie zieht Bilanz 1992: Über fünf Milliarden Umsatz

zieht Bilanz 1992: Über fünf Milliarden Umsatz

Geschlagene zwei Stunden spannte gestern der „Bundesverband der phonographischen Wirtschaft“ etwa 50 Journalisten auf die Folter, bevor es an die Kanapeés, die Käsehäppchen und die Rote Grütze am kalten Buffet ging. Vorständler von Ariola, Warner-Music, Sony, Emi, Polygram und Virgin bilanzierten im neuen Steigenberger Hotel das Geschäftsjahr '92, und was sie sonst noch so bewegt.

Erstmals setzte die Branche 1992 über fünf Milliarden Mark um — trotz Rezession ein Plus von 2,5 Prozent. 125,9 Millionen CDs wurden verkauft. Die Kleine ist weiter auf dem Vormarsch und die Vinyl-LP (4,9 Millionen Stück verkauft) auf dem Weg in die Nische. Sogar am CD-Recycling wird schon gebastelt. Daß aber Alt-CD-Container gleich im Plattenladen stehen, hält die Branche noch für geschäftsschädigend. Entsorgt werden im Lager vergammelnde „Flops“.

„Die Flopquote auf dem Schallplattenmarkt liegt bei 90 Prozent“, jammerte Gerd Gebhardt vom Warner-Vorstand. Ein bis zwei „acts“ kämen pro Jahr in Deutschland durch, die „Pop-Mittelschicht“ bröckele, im TV grinsten immer nur dieselben Typen. Überhaupt müßten in USA die Combos erstmal jahrelang durchs Land touren, bevor sie den ersten Plattenvertrag unterschreiben. Und das geht hier ja doch nicht, und überhaupt gibt's keinen „Beatclub“, keine „Musik aus Studio B“ mehr, allein die Presse hege den Nachwuchs. In der Herstellung von Musik-Videos sei Deutschland sowieso Entwicklungsland. Ob das Musik-TV „Viva“ da Abhilfe schafft? Der für August '93 geplante Sendestart wackelt noch. Doch die künftige Konkurrenz motivierte MTV, das die Pop-Welt schon in die Stuben abgelegenster Karpartendörfer strahlt, sich mehr für deutsche Produktionen zu interessieren. Um den Nachwuchs im Osten der Republik, wo nicht nur die Jugendlichen, sondern die ganze Musikszene „heimatlos“ geworden sei, will sich Gebhardt kümmern: „Weg vom Baseballschläger — Hin zur Gitarre!“ Na denn: Oi,oi,oi!

Beim Jammern über die Erträge verbreiteten die gepflegten Herren fast ein bäuerliches Flair. Nicht nur, daß ihnen Bootlegs und Importe die Umsatzzahlen verhageln — nun gibt es einen neuen Feind: Tchibo. Der Kaffeeröster nutzt eine Lücke im deutschen Urheberrecht für Tonträger und will alle bis 1966 erschienenen Beatles-Titel im CD-Pack für 35 Mark verkloppen — ohne daß die Rest-Beatles was abkriegen, geschweige denn die Industrie, die Tchibo einstweilig den Vertrieb untersagen ließ.

Obwohl der Umsatz in diesem Jahr weiter nach oben zeigt (bisher plus 3 Prozent), stimmte der Phono-Verbandsvorsitzende Thomas M. Stein wieder seine Arie „die CD muß 50 Mark kosten“ an: „Das Kulturgut Musik hat nicht den Preis, den es haben sollte.“ Werden CDs dann eher geklaut, kann das den Multis ja egal sein. Doch wenn CD-Verleiher, denen der Phono-Verband die Geschäfte nicht verbieten kann, Pilzen gleich aus dem Boden schießen, gibt's wieder was zu jammern. Julia Kossmann