Fahr' mich in die Ferne ...

■ ... kleiner Drahtesel! Mancherorts ist Fernradeln schon Massentourismus, doch bei guter Vorbereitung immer noch ein wirkliches Ferienbergnügen

schon Massentourismus,

doch bei guter Vorbereitung immer noch ein wirkliches Ferienvergnügen

Mal an einem Juliwochenende die Bodenseepromenade beschnuppert? Mal an einem goldenen Herbstsamstag an der Donaubrühe längs geradelt? Wer das 1992 auf sich nahm, ahnt, warum in Peking neuerdings Beschränkungen gegen den Fahrradverkehr erlassen werden. Fahrradtourismus heißt immer häufiger: Lenkstange an Lenkstange, Schutzblech an Satteltasche — Stau im ökomobilen Paradies.

Dort, wo in den seligen 70ern die Avantgarde einer neuen europäischen Reiseform belächelt und bestaunt den Abschied von Trampen und Kastenente auf zwei schmalen Rädern exekutierte, wälzt sich heute eine Flut von High- Tech-Blecheseln auf bereitwilligst ausgeschildertem Asphalt, bedient von einem aufblühenden Fahrraddienstleistungsgewerbe. Die FernradlerInnen von heute meiden Jugendherbergen und verpißte Camping-Klos und schätzen eher die gepflegte Küche und gehobene Herbergskunst. Das 3000-Mark-Gefährt mit seinem aufwendigen Equipment

1verlangt einen Garagenplatz, die wohlproportionierten Beinmuskeln lechzen nach Whirlpool, Sauna oder mindestens einem Duschkopf der besseren Art.

Doch die Drängelei auf den beliebtesten Fernradrouten täuscht. Noch immer sind echte FernradlerInnen eine verschwindende Minderheit unter den Mobiltouristen. Und auch auf dem Radweg dominieren die Quickies — Wochenendradler und Nachmittagsflitzer. Nicht ganz ohne Grund. Bei der Rückbesinnung des Menschen auf die Ursprünge seiner Mobilität fällt der Rutsch vom Autokunstfell aufs Radsattelleder weit schwerer als beispielsweise der Rückfall auf die eigenen zwei Beine. Läuft der motormäßig amputierte Neuzeitmensch immerhin noch regelmäßig zu Fuß, so reduzieren sich die meisten Radfahrerfahrungen auf eher kurze Begegnungen mit der Radmaschine und das noch im Stadtverkehr, der den ergonomischen Rhythmus wirklichen Fahrradreisens nie aufkommen läßt.

1Das Fahrrad ist ein — vielleicht sogar der — Höhepunkt menschlicher Ingenieurskunst: Keine andere Maschine wandelt Energie so effizient in Bewegung um. Sie verlangt zweierlei: Respekt vor den (Un-)

Fähigkeiten des eigenen Körpers und klugen Dialog mit den Möglichkeiten und Problemen der Maschine Rad. Einfach draufhüpfen und losfahren funktioniert nicht, zumal wenn Gepäck, Hügel und lange Strecken im Spiel sind. Jedes Jahr spielen sich in den ersten drei Tagen derart begonnener Radtouren haufenweise Beziehungskrisen ab. Die erste Tour ist nicht selten die letzte. Ein pfleglicher Umgang mit den Fähigkeiten des eigenen Körpers ist oberstes Gebot — vernünftiges Zubehör kann dabei helfen (siehe Tips).

Doch wohin? Alpenpässe killen, Nepals Schotter zum Qualmen bringen? Ich war bislang weder in Indien, Island oder Indonesien und kam als radelnder Eurozentrist bislang gut über die Runden. Wo, das ist natürlich Geschmackssache. Mein absoluter Favorit für Radreisen mit Zelt ist Norwegen: Leere Straßen, ideale Wildcampingmöglichkeiten, lange Tage. Aber: Es kann dort lausig kalt und naß sein. Frankreich empfiehlt sich durch sein kleinteiliges napoleonisches Straßennetz, aber auch mit Deutschland habe ich mich per Rad angefreundet. Voraussetzung sind gute Karten — die derzeit überall neu entstehenden Ferndradwege sind oft noch hundsmiserabel ausgeschildert. Mit vernünftigen Karten ist heute fast überall in Europa autoarmes Fernradeln möglich. Und bei selbstgewählten Wegen stellt man schnell fest: Fernradeln ist (noch?) immer eine absolute Minderheitensache. Florian Marten