Die eigene Tochter fast erwürgt

■ Türkischer Familienvater: "Ich (ver(diene für die Familie, aber sie dient nicht für mich"

Die eigene Tochter fast erwürgt

Türkischer Familienvater: „Ich (ver)diene für die Familie, aber sie dient nicht für mich“

Die Staatsanwaltschaft wirft Abdullah Y. den „Versuch einen Menschen zu töten“ vor, „ohne ein Mörder zu sein.“ Der 50jährige Mann habe im Streit mit seiner Ehefrau die damals 14 Jahre alte Tochter A. mit Faustschlägen zu Boden geworfen, ihr eine Wasserflasche auf den Kopf geschlagen und ihr den Hals zugedrückt. Das Mädchen, das sich zwischen die streitenden Eltern geworfen hatte, habe sich befreien und auf die Straße retten können.

Frau und Tochter hatten die Polizei zu Hilfe gerufen, hatten auf der Wache noch am selben Tag, dem 6. Juli vergangenen Jahres, den Streit und die Gewalttätigkeit des Vaters zu Protokoll gegeben, ihn angezeigt. Doch wenige Tage später zogen sie die Anzeige zurück. Vor Gericht machten Frau und Tochter gestern dann auch von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Das Schwurgericht muß das Familiendrama deshalb aus den Angaben von Abdullah Y. selbst, aus den Erinnerungen der Polizisten und den Gutachten der Ärzte und Psychiater zusammenpuzzeln.

„Schlimme Worte“ habe die Tochter ihm an den Kopf geworfen, „Schweinehund“ oder „Schwuler Hund“, genau erinnert er sich nicht mehr. Im Streit mit der Frau schon in Rage geraten (“sie brauchte Geld, nur Geld, nie war es genug“, weint Y.), habe er beide geschlagen. „Mit der Hand ins Gesicht, vielleicht auch auf den Hals“, das gibt der türkische Mann zu, der heftig zitternd drei Richterinnen, einer Schöffin und einem Schöffen gegenübersitzt. Seine eigene Gemütsverfassung — besonders in solchen Situationen — beschreibt er „wie ein trockenes Blatt im Wind“. Wohin es ihn dann treibe, könne er nicht beeinflussen.

Den „Affekt“, die „verminderte Impulskontrolle“ bestätigen auch die Gutachter (der Psychiater Axel Titgemeyer und der Psychologe Harald Schmidt). Darüber hinaus attestieren sie Abdullah Y. eine „Konversionstendenz“: sobald er emotional unter Druck gerät, reagiere er mit körperlichen Symptomen — Kopfschmerzen, Schwindel, Bewußtseinsstörungen. Er habe das Gefühl, „von innen aufgefressen zu werden“.

Aggressionen blendet Abdullah Y. aus seinem Selbstbild aus. Er sieht sich als geduldigen, fleißigen, sehr religösen Mann. Drei seiner vier Kinder gehen bzw. gingen zur Koranschule, nur die Jüngste (5) nicht. Die Ehefrau ist vor Gericht im Tülbent erschienen — einem übergroßen, weißen Kopftuch, das in seiner verhüllenden Symbolkraft über normale Kopftücher noch hinausgeht.

Grundlegende Probleme der Familie deuten sich an: Der Vater rackert sich ab: in Wechselschichten nachts bei Klöckner, tags bei Mercedes. „Ich habe mal acht Brote gekauft, eine Kiste Apfelsinen - trotzdem war am nächsten Tag nichts mehr da“, einmal seien 23 Frauen zu Besuch gewesen, als er nach Hause kam. „Ich verdiene für die Familie, aber die Familie dient nicht für mich“, sagt Abdullah Y. Die Kinder seien ihm „wie Feinde“, verhöhnten ihn. Auch die Frau gehorche nicht: Am Tag der Tat habe sie schon einen Monat nicht mit ihm geschlafen, sei auf sein Rufen auch nicht ins Schlafzimmer gekommen. Doch er habe „trotzdem immer in Ehre gelebt.“

Die Gutachter beschreiben einige Persönlichkeitsstörungen und Beschwerden Y.'s. Eine verminderte Schuldfähigkeit wollen sie ihm jedoch nicht zugestehen. Besonders nachdem der Gerichtsmediziner die Verletzungen der Tochter nannte: eine Kopfschlagwunde, ein Platzwunde, deutliche Fingerabdrücke am Hals, Stauungszeichen an den Augen, Kratzwunden.

Der Prozeß wird am Dienstag fortgesetzt. ra