„Und wenn die Muslime Juden wären?“

■ Robert Goldmann über die serbischen 'Säuberungen', deutsches Selbstverständnis und über ein Trainingsprogramm gegen Vorurteile

taz: Sie sind amerikanischer Jude, und Sie sagen öffentlich: Was die Serben mit den bosnischen Moslems machen, das erinnert an die 'Säuberungs'aktionen, die die Nationalsozialisten gegen die Juden durchgeführt haben. Kann man, darf man das vergleichen?

Robert Goldmann: Ich vergleiche nicht den Holocaust mit den Vorgängen in Bosnien: Das ist nicht vergleichbar mit der 'Endlösung'. Aber es gibt wichtige und erschütternde Parallelen in der Politik der Serben, in ihrer Handlungsweise, mit der Technik des Holocaust. Ich vergleiche nicht die Einzigartigkeit des Holocaust, sondern die Methode.

Zum Beispiel: die Auswahl gewisser Orte, Dörfer, Regionen zur 'Säuberung' — kalt, klar, strategisch ausgedacht. Nicht spontane Rachesituationen! Ich sehe die 'ethnische Säuberung' in Bezug auf Muslime als genaue, wörtliche Parallele dazu, eine Gegend, ein ganzes Land 'judenrein' zu machen. Das ist ja die genaue Übersetzung! Leute vertreiben, töten, schänden, foltern — weil sie einer gewissen Gruppe angehören, und nicht, weil sie was getan oder unterlassen haben.

Orte wie Vukovar in Kroatien dem Boden gleichzumachen — das war Lidice! Die programmierte Schändung von muslimischen Frauen mit der — jedenfalls berichteten — Absicht, das Muslimische in ihnen mit serbischem Blut zu 'verdünnen' - von dem biologischen Unsinn einmal ganz abgesehen — das erinnert an die Wahnsinnsmethoden von Mengele. Ich sage nicht, der Holocaust wird wiederholt: Es gibt dort keine Gaskammern, zumindest hat man Vergleichbares nicht gehört. Aber mit Ausnahme davon gibt es sehr, sehr vieles, was dasselbe ist.

Welche Reaktionen erleben Sie, auch von jüdischen Organisationen, auf diese Überlegungen? Das ist doch tabu.

Wie kann man sagen 'nein, das darfst du nicht schreiben' — was für ein Unsinn! Das Problem ist, daß man nicht daran gedacht hat, und daß man sich so auf die Einzigartigkeit des Holocaust konzentriert, daß einem gar nicht die Idee kommt, daß etwas Ähnliches nochmal passieren kann. Am Anfang hat sich unsere Organisation (Anti-Defamation- League, d. Red.) führend gegen die ethnische Säuberung ausgesprochen. Wir haben vor den United Nations — wir sind genau gegenüber — zusammen mit anderen jüdischen Organisationen protestiert.

Das war aber schon vor eineinhalb Jahren. Es ist ja immer so, daß alle viel zu tun haben, neue Probleme kriegen, und daß sich sogar Schlimmes schnell einbürgert. Da ging das zurück. Aber die Sensitivität besteht. Wenn ich heute so etwas sage, würde ich das nicht erwarten, daß einer 'Nein' sagt — so wie der Rabbiner, mit dem ich sprach.

Daß nicht daran gedacht wird, ist eine Unterlassung, die mich sehr, sehr besorgt. Weil ich finde: Die Juden haben eine besondere Verantwortung, wenn etwas vorkommt, das dem, was ihnen pasiert war, in irgend einer Weise nahe kommt.

Was haben Sie denn dem Rabbiner geantwortet?

Er hat wegen Bosnien die üblichen Probleme aufgeworfen, wie sie in amerikanischen Medien dauernd vermittelt werden: daß man nach Bosnien nicht so einfach reinkann, daß es ein zweites Vietnam geben darf — keine Ausreden, nur eben die üblichen Überlegungen, die sich einer Intervention entgegenstellen. Da hab ich gesagt: „Mal angenommen, diese Muslime wären nicht Muslime, sondern Juden...“ Da hat er den Kopf gesenkt und nichts weiter gesagt.

Sie versuchen in Ihrer Organisation seit einigen Jahren, das Problem des Zusammenlebens verschiedener ethnischer Gruppen mit einer neuen Methode, einem Programm anzugehen. Sie sind in der BRD und auch in Bremen, um über „world of difference“ zu informieren. In Bremen und Rostock sollen diese Programme laufen. Ja, kann man denn anderen schlicht abtrainieren, Vorurteile zu haben, oder geht sowas nur in einem Land wie Amerika?

Ich bin nicht der Techniker, der das praktisch tut, und ich bin immer sehr skeptisch bei solchen Erfolgsmessungen mit mathematischen und soziologishen Methoden. Fest steht aber: Stadt nach Stadt, Staat nach Staat in dne USA verlangen inzwischen nach dem Programm und geben dafür Geld aus. Jetzt sind schon über 100.000 Lehrer durch dieses Training gegangen.

Sie bilden Trainer aus, die ihr Wissen dann mit Schneeballeffekt weitergeben. Worin besteht die Philosophie, der Kern, der Witz des Ganzen?

In vielen Situationen kommen Andersartige insititutionell zusammen — in Amerika muß man sagen: 'Vielartige', hier in Deutschland kann man sagen 'Andersartige' — also beim Arbeiten, Lernen, vor allem in jeder Schule, in jedem Beruf. Im allgemeinen gibt es eine Mehrheit gewisser Gruppen, obwohl auch das in Amerika oft schwer festzustellen ist. Das Training will diese Mehrheit dahingehend ausrichten, daß Anderssein positiv ist, interessant, bereichernd, und eben nicht schadend, gefährlich, bedrohlich. Daß man das Recht hat, auf sich stolz zu sein, egal wie man aussieht, daß man mit solchen Augen (macht sich Schlitzaugen, d. Red.) genausogut sieht wie mit solchen...

Diese Einstellung wird dadurch vermittelt, daß die Lehrer erst einmal ihre eigenen Vorurteile erkennen lernen, in einem ziemlich rigorosem 5-Tage-Training, und sich damit eine neue Haltung aneignen. Danach wird der trainee ein Trainer.

Black is beautiful! Wie kann das für Bremen und Rostock funktionieren?

Hier ist vorgesehen, daß für Bremen und Rostock, die Partnerstädte, zwei Projekt-Direktoren nach Amerika kommen für 10 oder 12 Tage, durch das Training gehen, verschiedene Städte besuchen, wo das Programm läuft, mit verschiedenen Ethnien, dann mit zwei professionellen Trainern von unserem Institut „world of difference“ herüberkommen und in jede der beiden Städte gehen. Das Lehrpersonal wird ebenso durch das Training gehen, und dieser Kern wird dann hoffentlich der Schneeball.

Ost und West: Ist das Teil oder Bedingung des Programms?

Wir waren zuerst in Rostock. Als wir dort die Sache besprachen, wurde erwähnt: Das ist nicht ein ostdeutsches Problem, das ist ein deutsches Problem. Das Logische war dann Bremen als Partnerstadt. Ich warf verschiedentlich die Frage auf: Es handelt sich um ein sehr inneres sensitives deutsches Problem — und jetzt kommt eine amerikanische Gruppe, dazu noch eine amerikanisch-jüdische, die versucht, Euch zu sagen, „wie Ihr Euch zu benehmen habt“. Muß man da nicht einen Bumerang-Effekt befürchten? Das fanden sie nicht; eine Antwort war: Lieber die Amerikaner als die Wessis... Die Vorurteile Ossi-Wessi, beiderseits, sollen ein Gegenstand des Trainings sein.

Kann man denn hier ein USA-Training einfach so übernehmen, absolvieren? Deutschland ist doch ein ganz anderes Land und hat seine Geschichte.

Ja. Da werde ich einige nicht leichte Termine in Bonn haben. Die Methode ist übertragbar, weil wir alle Menschen sind. Der kulturelle Background ist völlig anders, sodaß das Material, die Beispiele, die Videos in Deutschalnd und auf Deutschland umgesetzt werden müssen. Aber eben so, daß sie innerhalb der Methode brauchbar sind. Das versuche ich, der Bundeszentrale für politische Bildung aufzuhalsen. Die sagt: Das haben wir schon alles. Das will ich gar nicht bezweifeln; dann muß es so ausgesucht und gestaltet werden, daß es unserem Material in Form und Anwendbarkeit entspricht. Wenn sie das tun können und diese Kosten aufbringen, ist das Problem gelöst.

Und wer bezahlt die Rechnung?

Diese Reise jetzt von mir und zwei weitere bezahlt die Friedrich-Ebert-Stiftung. Eine Trainer-Reise zurück nach Deutschland bestreitet die Deutsche Bank Rostock, die vierte Reise hoffe ich von der Adenauer-Stiftung zu bekommen. Ich habe auch einen Kontakt mit Daimler-Benz aufgenommen...

In den USA sind die Bedingungen völlig anders für das Zusammenleben der verschiedenen Gruppen, für die Empfindung 'Fremdheit'. Die USA haben eine ganz andere Philosophie als Frankreich oder Deutschland oder Italien: In die USA sind alle mal eingewandert!

Die USA bekennen sich als Einwanderungsland, das ist ein anderes Denken als in einem Land, wo die Blutlinie noch heute maßgeblich ist. Alle westeuropäischen Länder sind tatsächlich bereits Einwanderungsländer, aber im Kopf und in den Emotionen sehen sie Homogenität als ihre Hauptcharakteristik. Als „andersartig“ sehen sie einfach die Ausländer. Wollte man das in Amerika so tun, würde das Land sofort auseinanderbrechen. Ich vergleiche Amerika mit der Schweiz: auch ein gewolltes Gebilde, mit dem Vorsatz, dem Eid, diesen Staat so zu wollen, und darauf beruht der ethnische Friede dieses 4-Völker-Staaates. So wie Amerika ein gewolltes Gebilde ist, mit der Übereinkunft, sich in gewisser Weise zu benehmen.

Mit der Idee Schmelztiegel New York ist doch schon lange Schluß.

Schmelztiegel gab's nie, das war so eine Idee. Es gibt Pluralismus im Gegensatz zu Multikulturalismus. Pluralismus ist die Grundlage Amerikas: ein Statt, eine Gesellschaft, in der alle, die drin sind — idealerweise — gemeinsame Werte und Loyalitäten teilen, und daneben, auf dieser Grundlage, auf eigene Faust als Gemeinde, als Gruppe, als

alter Mann

„Im Amerika gibt es 'Vielartige' — in Deutschland 'Andersartige' Foto: Tristan Vankann

Famile ihre eigenen kulturellen Gepflogenheiten pflegen — aber übrigens auf eigene Kosten!

Kein Amerikaner ist stolzer darauf, Amerikaner zu sein, als der, der in der Parade an der 5th Avenue mit der Italienischen Flagge und der amerikanischen oder der griechischen oder der Iranischen die 5th Avenue heraufmarschiert. Das ist Pluralismus!

Als ich zwei Jahre in Frankreich lebte, sagte ich zu meiner Frau: Ich kann mir nicht vorstellen, mit griechischen oder anderen Flagen die Champs-Elyssees hinaufzumarschieren... In Amerika ist das Gefühl: Ich kann hier hochkommmen, was werden, und ich bin genauso gut wie der Ire next door oder der Jude da drüben — mit den Schwarzen gibt es ein anderen Problem, das ist noch lange nicht gelöst. Sie haben auf eigene Faust und auf eigene Kosten Schulen und Kirchen und Krankenhäuser aufgebaut.

Im Multikulturalismus andererseits wird das Gemeinsame unterbetont, das eigene oft künstlich hochgetrieben; der Geist ist, eine Gruppe von der andern zu trennen, Wände aufzubauen — und vom Staat verlangen, daß er das noch unterstützt — zum Beispiel durch bilingualen Unterricht. Wenn früher bei den traditionellen Immigranten die Kinder nach Hause kamen und auf italienisch oder jiidisch sprachen, haben die Eltern mit riesigem Akzent gesagt: 'arn't you lerning englisch in school? Talk english! You want to get some place?' Heute werden Kinder, die schon Englisch sprechen und spanisch kaum noch können, in bilinguale Klassen gesteckt, nur weil sie einen spanischen Vornamen haben.

Sie sehen darin einen Sprengsatz gegen das 'Amerikanische'.

Darin sehe ich große Gefahren,

aber we shall overcome, glaube ich.

Wir in Europa haben so eine schöne commen philosophy nicht, wir Deutschen erst recht nicht.

Ihr habt einen weiten Weg, und Ihr könnt nicht Amerika werden. Ihr braucht einen eigenen Weg. Aber Deutschland, Frankreich, die in der Tat Einwandererländer sind, müssen ihre eigene Form des Pluralismus sich schaffen und von der Idee der Homogenität, die schon lange nicht mehr existiert, wegkommen.

Als ich jung war und vor der Auswanderung mit 17, 18 Jahren in Frankfurt auf der Zeil rumhing, und heute dort rumgehe - dann ist die Zeil heute ähnlicher der 3rd Avenue in New York als der Zeil aus meiner Jugend.

Erörterungen über Einwanderungsländer haben immer auch ihre praktische Seiten. Wie beurteilen Sie — als Emigrant — die Frage nach Einwandergesetz, Quotierung, Staatsbürgerschaft? Wie wichtig ist das für die Chance verschiedener Gruppen oder Ethnien, zusammenzuleben? Wir sind nicht die USA.

Wie wir sagen: There is no free lunch! Für alles muß bezahlt werden. Wenn sich in Deutschland die Idee durchsetzt, daß Sie ein Einwanderungsland sind, daß 'Ausländer' das hier nicht in der zweiten, dritten Generation bleiben können, daß die Blutine nicht auf die Dauer das Kriterium sein kann für Einbürgerung — dann gehört dazu, daß Ihr Quoten macht. Das absolute Recht hat jedes Land. Man kann nicht verlangen, daß ein Land unbegrenzt Leute zuläßt. Man kann auch nicht Leute endlos zulassen, weil man ein schlechtes Gewissen hat, und dann aber nicht die Strukuren aufbauen, damit sie leben können.

Fragen: Susanne Paas