Kreischend, gicksend, keckernd

■ Der Klezmer-Zauberer Giora Feidman war mit seiner Klarinette im übervollen Bürgerhaus Vegesack

Unter uns Klarinettisten: wie macht er das nur? Wie bringt er dermaßen die Töne zum Jubeln, daß sie quasi auffliegen von ihren Leitern? Wie zaubert er aus seinem Blasrohr dieses schon direkt leibliche Gelichter und Gewimmel von Seufzern, Schnacklern und elegischen Wehmutssirenen? Eine Frage der Tonbildung, sagte meine Lehrerin immer, Bauchstütze, Lippenknete, Zungenstülpung, Mundhöhlenhall.

Nun ja, das alles steht ihm zu Gebot wie vermutlich keinem zweiten, dem Giora Feidman, geboren 1936 in Buenos Aires, früh gewitzigt als Hochzeitsmusikant, 18 Jahre Israelische Philharmonie, dann aber nur noch Klezmer, dieses auf gut Jiddisch eingekochte Gemengsel aus morgenländischer Pentatonik, swingendem New Orleans,chassidischen Gesängen aus Bessarabien und reichlich polnischer Shtetl-Tradition.

Am Donnerstag also spielte Feidman im übervollen Bürgerhaus zu Vegesack, und ließ Wunderbares hören bis hin zu Gershwin-Melodien und einem seiner vielen Tangos, was alles sowieso und ohne weiteres zur großen Klezmer-Sippschaft gerechnet werden könnte; zu dieser Soul- Musik des träumerischen Erzählens, worin sich alle erdenklichen Geschichten und Leidenschaften vergegenwärtigen in musikalischen Figuren, die immer von einer gewissen Tanzlust beseelt sind; deshalb ist es eine faßliche Musik und auf unbegreifliche Weise einleuchtend; es ist eine ewige Rhapsodie im besseren Sinn.

Am schönsten ist es, wenn Feidman leise wird, wenn die Töne, kaum ausgehaucht, schon wieder in ihre Stille entwichen sind, wie wenn sie von Unaussprechlichem wüßten. Aber schon fährt Feidman wieder drein und kreischt und gickst und keckert, daß es eine Art ist. Klezmer ist auch das Durcheinander von Hinschwinden und Hergerissensein, von Unlust und Extralaune.

Da macht uns der Musikant ohne Sperenzchen den Possenreißer und läßt, mitten im zartesten Zagen, seine Klarinette boshaft schnorcheln und kollern, aber gleich machen sich wieder Klänge auf von allerlieblichster Delikatesse.

Manchmal war das Hin und Her ein bißchen gar zu abgerissen und medleymäßig, aber der Ton, der Ton entschädigte immer für alles und machte notfalls alleine die Musik; dieser Ton, wie ihn nur Feidman so huldreich kneten und walken, so frischauf behauchen und modellieren und zum Tanz führen kann.

Feidman macht, um es einmal kurz zu sagen, eine durchaus liebevolle Musik; es lebt darin das Wissen, daß der Ton, wie jeder Mensch, nur schön wird, wenn man ihm schmeichelt.

Das Publikum war begeistert, weil ihm gar nichts anderes übrigblieb: Feidman ist, aus geschilderten Gründen, der Spezialfall eines Pfeifers, dem alle ohne Ansehen des Standes ein wenig verfallen müssen, gleich ob große oder kleine Sparer, ob Ratten oder Kinder. Was hat uns der Meister nicht alles eingeblasen am Ende! Bestimmt mußten auf dem Heimweg die Leute ein bißchen in sich hineinhorchen: ob sie nicht doch eine Seele haben.

Manfred Dworschak