„Ich bin gegen Verbote!“

■ Aziz Nesin im Konsul-Hackfeld-Haus. Er fordert die Übersetzung von Rushdies „Satanischen Versen“

Der 78jährige Satiriker und Schriftsteller Aziz Nesin gehört zu den wenigen türkischen Autoren, mit dessen Namen man in Deutschland etwas verbinden kann. Seine Bücher wurden schon vor Jahren in mehrere Sprachen übersetzt, darunter auch ins Deutsche.

Wer den meistgelesenen Satiriker der Türkei in einer gewöhnlichen Lesung erleben wollte, war am Donnerstag abend im Konsul-Hackfeld-Haus fehl am Platz. Aziz Nesin ist eine Woche lang unterwegs in Deutschland auf Einladung der GEW und IG- Medien. Die Vortragsreise heißt „Demokratie in der Türkei und ihre Widerstände.“ Daß irgendetwas mit der Demokratie nicht stimmte, fiel allen BesucherInnen dieser Veranstaltung sofort auf; schließlich kommt es nicht alle Tage vor, daß man in Deutschland von Sicherheitsbeamten durchsucht wird, wenn man eine Veranstaltung eines Autors besuchen möchte.

Die strengen Sicherheitsvorkehrungen haben jedoch eine Geschichte. Nesin, der in der Türkei öffentlich für eine türkische Übersetzung von Salman Rushdies „Satanische Verse“ eintrat, wird von islamischen Fundamentalisten bedroht. Nesin und die Veranstalter der Vortragsreise nehmen diese Drohung ernst und suchen Schutz in der Öffentlichkeit.

Um die zahlreichen Anwesenden zufrieden zu stellen, verzichtete Nesin auf einen gewöhnlichen Vortrag und sammelte statt dessen Themenschwerpunkte, die das Publikum interessierten. Die Vorschläge der Anwesenden nahmen kein Ende: wie er zum Kurdenproblem steht, was er über Laizismus, Pressefreiheit, Bildung, Erziehung und Emanzipation der Frauen denkt oder wie er die Gefahr des Fundamentalismus einschätzt etc.. Über die Übersetzung der Satanischen Verse, der Anlaß seiner Vortragsreise, fiel erstaunlicherweise anfangs kein Wort.

Über die Hälfte der Veranstaltung wendete er sich der Frage zu, wie er zum Kurdenproblem steht. Die von Nesin als zu allgemein empfundene Frage verführte ihn dazu, einen allgemeinen Vortrag über die ethnischen Minderheiten in der Türkei zu halten; das Kurdenproblem wäre in diesem Zusammenhang als ein Teilproblem zu betrachten. In der Türkei hätte es immer Minderheiten gegeben, die mit Türken zusammenlebten. Zwischen den Türken und Kurden aber gäbe es zum Beispiel ein Sprachproblem. Nesin fragte sich, wieso die meisten Kurden immer noch kein Türkisch könnten, obwohl sie deshalb unter Druck gesetzt worden seien, und die Griechen, die diesbezüglich keinen Druck erfahren hätten, heute noch unter sich türkisch sprechen. Diese Frage blieb jedoch auch von ihm unbeantwortet. Auf jeden Fall möchte er diese „nationale Blutrache“ (A.N.) zwischen Türken und Kurden beendet wissen.

Insgesamt waren es zu viele Themen und zu hohe Erwartungen für eine zweistündige Veranstaltung. Kurz vor Abschluß der Veranstaltung kam die Frage auf, ob er die Satanischen Verse von Rushdie gelesen habe. Daraufhin antwortete der langjährige Atheist: „Nein, ich habe das Buch nicht gelesen, aber ich habe etwas gegen Verbote“.

Nach der Veranstaltung konnte man aus den frohen Gesichtern und Gesprächen vieler ZuhörerInnen entnehmen, daß sie sich über die Begegnung mit dem bekannten Satiriker gefreut haben; andererseits hinterließ der fehlende Dialog über die ausgewählten Schwerpunkte Unzufriedenheiten und führte zu weiteren Diskussionen.

Wer mit der Wahrheit in der Tasche nach Hause gehen wollte, mußte sich an Nesins Worte erinnern: „Ich vertrete 100prozentig meine Meinung und außerdem ist nicht alles richtig, was ich sage“.

Gülbahar Kültür