Ludmilla schnauft durch die weite Welt

■ Seit Ende '89 sind etwa 20 Dieselloks sowjetischer Bauart auf bundesdeutschem Streckennetz im Einsatz

auf bundesdeutschem Streckennetz im Einsatz

Sie wird liebevoll Ludmilla genannt, wiegt 122 Tonnen und wurde vor 20 Jahren in der Sowjetunion „geboren“. Doch schon bald kam sie in die DDR und trat bei der Reichsbahn ihre Stelle als Diesellok an. Im Arbeiter-und Bauernstaat kam Ludmilla ziemlich viel herum, nur über die Grenzen fuhr sie selten hinaus. Doch seit der Maueröffnung ist alles anders. „Rund 20 Diesellokomotiven der

1Baureihen 132 und 134 kommen seit Ende ‘89 täglich in Hamburg zum Einsatz“, beschreibt Hans-Peter Latour, Pressesprecher der Bundesbahn, wenig romantisch den Arbeitsalltag der „Ludmillas“. Woher ihr Name stammt, weiß er leider nicht. Die Loks würden jedenfalls ganz normal eingesetzt, sagt Latour. Einem vermehrten Einsatz stünde nur im Wege, daß der Zugführer speziell auf den jeweiligen

1Loktyp geschult werden müsse. Er müsse nicht nur in der Lage sein, die Lok zu bedienen, sondern auch eventuell anfallende Reparaturen ausführen können.

Lutz Albrecht ist Zugführer „unserer“ 134er Ludmilla, Baujahr 1974. Die typischen „CCCP- Embleme“ an den Seiten der Lok fehlen leider. Lokführer Albrecht vermutet, die habe wohl ein Souvenir-Jäger geklaut. Seine Ludmilla ist eine ganz besondere: „Eigentlich ist das hier eine 132er, die nur 120 Stundenkilometer schnell fährt. Doch sie wurde für den Intercity- Betrieb umgebaut und macht jetzt 140 Sachen“, sagt Albrecht. Der Reichsbahner ist schon seit 1976 Lokführer, und für ihn ist Ludmilla „'ne stinknormale Lok“. So ist der erste Eindruck von Ludmillas Innenleben — sprich Fahrstand — auch ein wenig ernüchternd: Es sieht irgendwie zu normal aus. Keine kyrillische Schrift unter den Anzeigeinstrumenten, sondern langweilige Plastikschildchen mit deutscher Beschriftung. Die Geschwindigkeit wird sogar digital angezeigt. Albrecht erzählt, daß einiges erst vor kurzem geändert wurde: „Früher waren die Hinweistäfelchen aus Messing, und der Tacho ist auch erst später reingekommen.“ Ein Blick in die Elektrik offenbart dann aber doch das Konstruktionsalter der Lokomotive: Man hat den Eindruck, als gehe man in ein Röhrenradio hinein. Röhren sind zwar keine mehr drin, aber der Schritt zum Transistor war dann auch schon der modernste. „Kann ich aber reparieren“, sagt Albrecht, der früher Elektrotechniker war.

Im Maschinenraum ist es heiß und eng. 3000 Pferdestärken bietet der Motor auf, und hier ist endlich auch ein russisches Herstellerschild mit kyrillischer Schrift zu finden. Nur lesen kann es keiner. Liegengeblieben sei er mit Ludmilla noch

1nie, meint Albrecht, aber ihm seien E-Loks doch lieber, weil die leiser und sauberer seien. Auch Pressesprecher Latour sieht in der Elekrifizierung die Zukunft: „Über kurz oder lang werden die Dieselloks weniger“. Zudem würden die Lokomotiven nach 30 Jahren ausgemustert. Bis dahin hat unsere „frisierte“ Ludmilla aber noch zehn Jahre Zeit, die Welt zu entdecken. Andrew Ruch